Terrorwelle gegen Vollzug

In Frankreich nehmen die Angriffe Krimineller auf Gefängnisse und deren Personal stark zu

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.
Auch vor dem Gefängnis von Tarascon in Südfrankreich waren Brandstifter im Gange.
Auch vor dem Gefängnis von Tarascon in Südfrankreich waren Brandstifter im Gange.

Bei der Abwehr und Aufklärung der seit einer Woche anhaltenden Terroranschläge auf Gefängnisse und deren Personal gab es in der Nacht zum Dienstag den ersten greifbaren Erfolg. In Varces-Allières-et-Risset und damit in unmittelbarer Nähe des Gefängnisses von Varces im Alpendepartement Isère wurden bei einer Verkehrskontrolle drei Verdächtige mit einem Benzinkanister im Auto gestellt und verhaftet. Fast zur selben Stunde wurden vor dem Gefängnis von Caen in der Normandie fünf Autos von Gefängniswärtern oder Dienstfahrzeuge angezündet.

In der vorangegangenen Nacht von Ostersonntag zu Montag war in Villefontaine ein Brandanschlag auf das Haus einer Gefängniswärterin nur dadurch gescheitert, dass die Täter sich in der Adresse geirrt und das Haus eines benachbarten Rentnerehepaares angezündet hatten. Außerdem wurden in derselben Nacht in Nordostfrankreich die Gefängnisse von Lutterbach, Lannemazan und Saint-Quentin-Fallavier von verdächtigen Drohnen überflogen. In einem Wohnviertel, wo zahlreiche Gefängnisaufseher leben, wurden Schüsse aus einer Maschinenpistole und Brandanschläge registriert, die glücklicherweise keine Schäden anrichteten.

Seit einer Woche gibt es im ganzen Land solche Gewaltakte gegen Gefängnisse und die dort abgestellten Autos, aber auch gegen die Wohnungen von Gefängniswärtern. Dabei werden die Wohnungstüren beschossen oder es wird versucht, sie in Brand zu stecken.

Oft finden solche Anschläge zum selben Zeitpunkt statt, was darauf schließen lässt, dass sie zentral gelenkt und aufeinander abgestimmt sind, um größtmögliche Wirkung zu erzielen. Dass es bei den mehreren Dutzend derartiger Fälle, die es bisher gab, noch nicht zu Personenschäden kam, grenzt an ein Wunder, meinen die Gewerkschaften des Gefängnispersonals, die vom zuständigen Justizminister Gérald Darmanin und von Innenminister Bruno Retailleau wirksame Maßnahmen zum Schutz der in den Gefängnissen Beschäftigten fordern.

Fast bei all diesen Anschlägen fand sich auf eine Wand gesprüht die Abkürzung DDPF, was »Droits des prisonniers français« (Rechte der französischen Gefängnisinsassen) heißen soll. Außerdem wurden Videos über solche Anschläge ins Internet gestellt, manchmal verbunden mit Drohungen gegen die Sicherheitsbehörden.

Es sollte so ganz offensichtlich der Verdacht auf gewaltbereite linksautonome Gruppen gelenkt werden, die auf die Überbelegung und die damit verbundenen schlechten Bedingungen in Frankreichs Gefängnissen aufmerksam machen wollen. Polizei und Justiz haben aber keine Hinweise gefunden, die diese Vermutung erhärtet hätten.

Dagegen verdichtet sich der Verdacht, dass es sich bei dieser Terrorwelle stattdessen um Akte von Drogendealerbanden handelt, die Polizei und Justiz einschüchtern und bürgerkriegsähnliche Zustände herbeiführen wollen. Darum hat die zentrale Staatsanwaltschaft für Terrorbekämpfung PNAT (Parquet national antiterroriste) die Ermittlungen zu all diesen Gewaltakten an sich gezogen.

Die gegenwärtige Welle von Anschlägen könnte mit den Plänen von Justizminister Gérald Darmanin und Innenminister Bruno Retailleau zusammenhängen, einige besonders scharf bewachte Gefängnisse mit ausgesprochen harten Lebensbedingungen für führende Drogenhändler zu reservieren, um das immer weiter wachsende Geschäft mit illegalen Betäubungsmitteln in Frankreich durch repressive Maßnahmen einzudämmen.

Nicht zuletzt soll mit geeigneten technischen Mitteln der Telefonverkehr aus diesen Gefängnissen unterbunden werden. Denn den Behörden ist bekannt, dass Bandenchefs seit Langem den Drogenhandel ihrer Netze telefonisch aus der Haft heraus lenken und so sogar Mordanschläge auf Mitglieder konkurrierender Banden in Auftrag geben.

»Offensichtlich geht es hier um den Versuch, die Sicherheitskräfte der Republik einzuschüchtern, und dies bezeichnenderweise zu einem Zeitpunkt, da wir in Frankreichs Gefängnissen gründlich aufräumen wollen«, erklärte Justizminister Gérald Darmanin.

Fabien Roussel, der Nationalsekretär der Kommunistischen Partei, unterstützt in einer Erklärung die Forderungen der Gewerkschaften, das Gefängnispersonal wirksamer zu schützen. Auch gehe es darum, den Beruf des Gefängniswärters in jeder Hinsicht aufzuwerten. Vor allem gelte dies für die Gehälter, die kaum über dem gesetzlichen Mindestlohn liegen – trotz der besonderen Gefahren und Belastungen, denen diese Justizangestellten ausgesetzt sind.

»Wir erwarten von der Justiz und den Sicherheitskräften grundlegende, konsequente und wirksame Maßnahmen«, heißt es weiter in der Erklärung. »Starke Worte und vollmundige Ankündigungen in den Medien reichen nicht. Gebraucht werden massive Investitionen in Gebäude, Technik und Personal, um die sichere Unterbringung der Häftlinge und die Arbeitsbedingungen für das Personal wesentlich zu verbessern.«

Die Gefängnisse sind in Frankreich stärker belegt und häufiger überbelegt als in anderen europäischen Ländern. Gegenwärtig kommen auf 60 000 Plätze mehr als 73 000 Häftlinge.

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