Genossenschaftsmodell mit Lücken
Der bolivianische Ökonom José Nuñez del Prado über die notwendige Reform der Bergbaugenossenschaften
Wie entstand die Genossenschaftsbewegung im Bergbausektor Boliviens?
Wie alle anderen Genossenschaften waren auch die im Bergbau unter dem Gesetz über genossenschaftliche Gesellschaftlichkeit von 1956 organisiert. Diese hatten jedoch wegen der Nationalisierung des Bergbausektors während der Revolution von 1952 keine große Bedeutung. Damals entwickelte sich eine individuelle Bourgeoisie. Im Zuge der Nationalisierung war der Bergbau das entscheidende Element. Die Bolivianische Bergbaukooperation (COMIBOL) wurde gegründet, unter der sich damals rund 50 000 Arbeiter organisierten.
Was war die damalige Rolle der Genossenschaften?
Der Bergbau war immer Boliviens wichtigste Einnahmequelle, doch dann kam die Krise in der Mitte der 1980er Jahre, welche zu einer wirtschaftlichen Umstrukturierung führte. Die Weltmarktpreise für verschiedene Mineralien fielen, und in Zeiten von Neoliberalismus und flexiblen Arbeitsrechten entließ die COMIBOL rund 20 000 Bergbauarbeiter. Viele gingen zu unbedeutenden Genossenschaften, die nur Reste schürften. Damals waren das noch wirkliche Genossenschaften. Es gab keinen lukrativen Mehrwert im wirtschaftlichen Sinn, sondern Arbeiter organisierten sich, arbeiteten für sich und teilten das, was erwirtschaftet wurde, gerecht auf.
José Nuñez del Prado ist ein marxistischer Ökonom, Politologe und Experte für ländliche Entwicklung an der Universidad Mayor de San Andrés in La Paz.
Wie kam es zu Änderungen des Genossenschaftsmodells?
Das muss man in Zusammenhang mit dem »Goldfieber« ab den 90er Jahren sehen. Die Mehrheit der Goldminen wurden von den Genossenschaften betrieben. Das war ihr Hauptgeschäft und hier fängt auch die Denaturalisierung an. Das gerechte Verteilungsprinzip wurde aufgehoben. Stattdessen investierten einige Bergbauarbeiter, kauften sich Grundstücke und schlossen Verträge mit Arbeitern. Diese waren dann auch keine Socios (Mitglieder) mehr, sondern Proletarier, die vom Unternehmer nicht mehr als Mitglied einer Genossenschaft, sondern als ihr »Repräsentant« unter Vertrag genommen wurden. Dabei gab es diese Rechtsform innerhalb des Genossenschaftsgesetzes gar nicht und sie existiert bis heute nicht.
Wie stark verbreitet ist dieses Modell?
Rund 90 Prozent der Genossenschaftsmitglieder sind »Repräsentanten« der Patrones. Es ist dieses Modell, welches die Regierung im aktuellen Konflikt sicherlich angehen wird. Präsident Evo Morales wird sich aber hüten, die Basis zu verändern. Vielleicht wird er auch die Patrones auszahlen und gefügig machen, aber es sitzen viele bereits im Gefängnis.
Wie war das Verhältnis zwischen Regierung und Genossenschaften vor dem aktuellen Konflikt?
Der Staat verteilte Schürfrechte, stellte Maschinen zur Verfügung, baute Straßen, erhob niedrige Steuern und erteilte keinerlei Umweltauflagen. Warum? Weil die Bergbauarbeiter eine mächtige Unterstützergruppe des Prozesses des Wandels darstellen und rund 20 Prozent der Wahlberechtigten ausmachen. Durch den politischen Druck der sozialen Bewegung auf der Straße, zum größten Teil vom Bergbausektor, wurde die neue Verfassung durchgeboxt. Jedes Mal, wenn es Kritik an Morales gab, gingen vor allem Bergbauarbeiter als Unterstützer auf die Straße. Auch ökonomisch gesehen ging es aufwärts, weil die Preise für Mineralien wieder stiegen. Gab es 1990 noch 454 Genossenschaften, zählte man 2005 bereits 778. Heutzutage sind es noch wesentlich mehr, ich schätze bis zu 3500. Es hat sich in der Tat eine mächtige Genossenschafts-Bourgeoisie entwickelt.
Mischen hier auch transnationale Firmen mit?
Die Regierung hat seit Jahren nur noch in den Erdgassektor investiert. Der Bergbau musste sich also notgedrungen um internationale Investoren bemühen, weil ohne Investitionen nichts läuft. Transnationale Firmen erscheinen hier aber erst relativ spät auf der Bildfläche. Die Gewinnmarge teilen sich die Genossenschaften und die transnationalen Firmen. COMIBOL hat einen marginalen Gewinn und steht zwischen diesen großen Parteien.
Aber lautet nicht eine der Forderungen der Genossenschaften, mehr Freiheit zu haben, um Verträge mit transnationalen Firmen schließen zu können?
Das ist doch genau die Ironie. Die Regierung, die sich als Schutzheiliger des Genossenschaftsmodells ausgibt, will jetzt gegen die Bergbau-Bourgeoise vorgehen, nachdem diese über zehn Jahre lang Verträge mit transnationalen Firmen geschlossen haben. Das momentane Problem ist die Wirtschaftskrise mit den fallenden Gaspreisen. Die Regierung will daher ein politisches und ökonomisches Desaster vermeiden. Deswegen muss sie sich den Genossenschaften annehmen, ohne dass die Basis vergrault wird, die übrigens keine Sozial- und Krankenversicherung besitzt und der auch das Mitbestimmungs- und Organisationsrecht in Gewerkschaften verwehrt wird, was der Bolivianische Gewerkschaftsbund (COB) kritisiert.
Wäre eine erneute Verstaatlichung des Bergbausektors wie 1952 die richtige Antwort?
Das wäre es in der Tat. Viele fordern das. Aber eine Wiederverstaatlichung wird es wohl nicht geben. Damit würde man sich nicht nur die Genossenschaften vom Leib halten, sondern auch die transnationalen Firmen vergraulen. Nach einer Verstaatlichung braucht es Investitionen und die kann sich die Regierung momentan nicht leisten. Sie hat schon in den letzten Jahren im Bergbausektor nicht investiert. Heute will sie vor allem die Patrones loswerden, um selbst Geschäfte mit den transnationalen Firmen machen zu können.
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