Debatte über Linkswende in Europa

Varoufakis, Kipping und Lederer: Wie retten wir die europäische Idee vor den Neoliberalen und den Rechtspopulisten?

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Berlin. Europa ist in der Krise - und die hat vielfältige Dimensionen: die Austerität, die Abschottung, die Fliehkräfte, die wirtschaftlichen Ungleichgewichte, die Krise der Solidarität. Was lässt sich daran ändern, wenn die Linken auf dem Kontinent vergleichsweise schwach sind? Darüber diskutieren am Samstagabend der frühere griechische Finanzminister Yanis Varoufakis, die Linkenvorsitzende Katja Kipping und der Spitzenkandidat der Partei zu den Abgeordnetenhauswahlen, Klaus Lederer.

Für »ein friedliches, weltoffenes Europa der Solidarität, nicht der Abschottung und Austritt« würden Linkspartei und die linke Europabewegung DiEM25 von Varoufakis gleichermaßen eintreten. »Doch derzeit sind wir von unserer Vision weit entfernt. Herrschende Eliten und Neoliberale stehen ungeachtet aller sozialer Verwerfungen für ein plan- und rücksichtsloses Fortführen des fatalen Spar- und Kürzungsdiktats. Rechtspopulisten propagieren den Rückzug auf Nationalismus und Festungsmentalität«, heißt es in der Einladung zu dem Gespräch, das bereits um 17 Uhr im Astra Kulturhaus Berlin beginnt.

»Was kann die progressive Linke ihnen entgegensetzen? Wie gelingt uns eine Trendwende im gesamteuropäischen Kampf für Demokratie und soziale Gerechtigkeit? Wie retten wir die europäische Idee vor den Neoliberalen und den Rechtspopulisten?«, so die Fragen - die auch auf den Beitrag abstellen, den die gesellschaftliche Linke in Berlin leisten kann, »der Stadt, von der aus die deutsche Bundesregierung die europäische Austeritätspolitik anführt«.

Varoufakis hatte unlängst im »nd« für »eine paneuropäische Bewegung des zivilen und staatlichen Ungehorsams« geworben, »die zu einer breiten demokratischen Opposition gegen das Agieren der europäischen Eliten auf lokaler, nationaler und auf EU-Ebene heranwächst«. In einem Gastbeitrag riet der Ökonom dazu, »europaweit energisch für eine demokratische Union gemäß internationalistischer und grenzüberschreitender Prinzipien« zu streiten, »selbst wenn wir nicht glauben, dass die EU in ihrer derzeitigen Form überleben kann oder sollte«. Zudem sollten progressive Kräfte »die Inkompetenz des autoritären EU-Establishments offenlegen« sowie »zivilen, bürgerlichen und staatlichen Ungehorsam europaweit koordinieren«. Der Mitgründer des Democracy in Europa Movement sieht seine eigene Bewegung DiEM25 zugleich in der Verantwortung, beispielhaft aufzuzeigen, »wie eine paneuropäische Demokratie auf allen Ebenen unabhängig vom Rechtssystem funktionieren kann«.

Varoufakis kritisiert zudem Forderungen in der europäischen Linken, die auf einen Ausstieg aus der EU oder auf deren Auflösung drängen. Die Europäische Union befinde »sich in einem fortgeschrittenen Stadium der Auflösung. Entweder sie ist (noch) zu retten, menschlicher zu gestalten, oder es besteht bereits keine Hoffnung mehr und ihre Auflösung ist sicher. In beiden Fällen begehen progressiv Denkende einen großen Fehler, wenn sie den Kampf um Demokratisierung aufgeben (und den EU-Austritt und deren Auflösung zu einem Ziel an sich machen), denn dies kann nur in die Hände der Rechtsextremen spielen«, so Varoufakis. Er warnte linke Kräfte vor »einem Schulterschluss mit nationalistischen Positionen, die unweigerlich die extreme Rechte stärken werden, während sie es der EU ermöglichen, die Linke als Populisten zu brandmarken, die sich nur unwesentlich von Nigel Farage, Marine Le Pen und anderen unterscheiden«.

»Ob zum Guten oder zum Schlechten sei dahingestellt, aber die Geschichte hat uns eine EU ohne Grenzen vermacht«, schreibt Varoufakis weiter. »Es gibt eine gemeinschaftliche Politik in Feldern wie Umwelt und die (per definitionem internationalistische) Linke ist verpflichtet, diese Abwesenheit von Grenzen genauso zu verteidigen wie die gemeinschaftliche Klimapolitik und auch Dinge wie das Erasmusprogramm, das es jungen Europäern ermöglicht, in einem grenzüberschreitenden Bildungssystem zusammenzukommen. Sich gegen diese Errungenschaften einer ansonsten rückschrittlichen EU zu stellen, ist mit einer im eigentlichen Sinne linken Position nicht in Einklang zu bringen.« nd

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