»Wir sind keine Marketingopfer«
Folge 102 der nd-Serie »Ostkurve«: Die Fanszene von RB Leipzig kämpft für den Erhalt des Zentralstadions
Für die Initiative 60plus haben sich ganz verschiedene Akteure der RB-Fanszene zusammengeschlossen. Wie kam es dazu?
Den Wunsch, im Innenstadtstadion zu bleiben, gibt es in der Fanszene schon, seitdem das Thema erstmals aufkam. Das Zentralstadion ist ein elementarer Bestandteil unserer Beziehung zu RB Leipzig. Unsere Verbundenheit mit der Spielstätte wollen wir dokumentieren und diesen emotionalen Standpunkt dem Verein näherbringen. Der Impuls dazu kam aus der aktiven Fanszene.
Was ist das Ziel der Initiative?
Wir wollen das Thema auf eine große Bühne heben und Öffentlichkeit schaffen, die gesamte Fanszene von RB mitnehmen, ein Forum für Gespräche und Diskussionen bieten und die Dringlichkeit des Themas unterstreichen. Es geht aktuell wirklich darum, dass der Verein das Leipziger Zentrum in Richtung Randbezirke verlassen könnte.
Die Zahl steht für das Alter des ehemaligen Leipziger Zentralstadions, auf dessen Grund die neue Arena entstanden ist. Sören Minx ist einer der Sprecher der Aktion und erklärt im Gespräch mit Ullrich Kroemer, weshalb die Anhänger im alten Stadion bleiben wollen, wie die Fanopposition von der Klubführung wahrgenommen wird und weshalb das Thema eine Belastungsprobe für Fans und Klub ist.
RB-Präsident Oliver Mintzlaff betont, dass ein Neubau aus infrastrukturellen Gründen und finanzieller Sicht besser für den Klub wäre.
Wir haben nicht das Wissen, das der Verein möglicherweise hat, wann und wie sich ein Neubau kostentechnisch irgendwann einmal rechnen würde. Wir sind auf einer emotionalen Schiene unterwegs. Uns verbinden der Fußball und unsere Erlebnisse mit dem Stadion und kein finanzieller Hintergrund. Wir wollen aus Sicht der Fans weitere Argumente liefern, warum es sinnvoller sein könnte, doch lieber in der Stadt zu bleiben, als irgendwo an der Autobahn zu bauen.
Welche sind Ihre zentralen Argumente?
Wir haben hier im Stadion mit RB Leipzig große Erlebnisse gefeiert. Wenn es auch nur sieben Jahre sind, aber jeder hatte seine emotionalen Spiele und Momente. Dazu die guten Anreisemöglichkeiten: Wer in deutschen Stadien unterwegs ist, weiß, dass auch eine Arena an der Autobahn nicht alle Verkehrsprobleme löst. Teilweise sind die Anreiseschwierigkeiten die gleichen oder noch größer. In Leipzig kann man alle Parkhäuser in der Innenstadt fußläufig erreichen. Und selbst wenn man an der Messe baut, stehen dort ja nicht 200 Straßenbahnen bereit, um nach Spielschluss 50 000 Leute abzutransportieren. Ein Neubau würde wegen der Verkehrsanbindungen auch die Stadt und den Staat, also auch den Steuerzahler, zig Millionen kosten. Wir bezweifeln, dass es derzeit nötig ist, solche enormen Summen zu investieren.
Der Verein RB Leipzig wird im Fußball als das Gegenteil eines Traditionsklubs wahrgenommen. Weshalb ist Ihnen die Tradition in punkto Stadion auf einmal wichtig?
Die meisten hier sind nicht im Stadion, um Red Bull nach vorn zu schreien, sondern weil sie aus Leipzig und Umgebung kommen und sich deswegen mit dem Klub identifizieren. Wir sind keine »Marketingopfer«, sondern Leipziger, die guten und friedlichen Fußball sehen wollen, sich aber auch mit der langen Leipziger Fußballgeschichte identifizieren.
Die RB-Fanszene betont diese Verbundenheit mit Leipzig stets stark.
Wir blenden den Sponsor nicht aus; der Investor ist ein Teil der Entwicklung des Fußballs in Leipzig. Aber es gibt eben auch gewisse Fixpunkte. Einer der ganz wichtigen ist das Zentralstadion. Die Fanszene von RB ist ja nicht irgendwann aus dem Nichts entstanden. Viele Leute können sich an die großen Spiele im Zentralstadion noch erinnern, wissen um die Geschichte und finden im Stadion auch ihre Entwicklung als Fan wieder.
Welche Signale bekommen Sie von der Klubführung?
Wir haben uns mehrfach mit der Klubführung getroffen. Es gab mehr oder weniger freundliche Gespräche. Die Aktion stößt jetzt nicht auf ungeteilte Gegenliebe. Es gibt auch kritische Stimmen im Verein. Wir werden zwar nicht in unserem Tun behindert, es wird aber auch nicht alles genehmigt, was wir vorhaben. Der Verein hat klare Ideen, von denen er momentan nicht abrückt.
Wurden entsprechende Banner für das Spiel an diesem Freitag gegen den FC Augsburg genehmigt?
Ja, aber nicht alle.
Aber Sitzblockaden wie sie jüngst einige Kölner Ultras vorgemacht haben, wird es keine geben?
(Lacht) So weit wird es nicht kommen. Unsere Fanszene hat eine sehr geringe, militante oder kriminelle Energie. Aber es wird ein Test, wie sich die informelle Mitbestimmung der Fanszene bei uns im Verein entwickeln kann.
Zeigt sich jetzt auch, wie ernst es der Verein mit der Möglichkeit zur Fanteilhabe meint, auch wenn es nur 17 stimmberechtigte Mitglieder und so gut wie kein direktes Mitbestimmungsrecht der Fans gibt?
Das ist sicher eine Belastungsprobe. Die RB-Fans sind sich der Tatsache durchaus bewusst, dass Einflussnahme nur über solche informellen Wege gehen kann. Das hat aber bisher gut funktioniert, wie zum Beispiel als der Verein beim Drittligaaufstieg auf Wunsch der Fans die Erhöhung der Dauerkartenpreise wieder korrigiert hat. Aber so eine strategische Entscheidung wie ein Stadionneubau ist natürlich etwas ganz anderes.
Die Zeit drängt, die Entscheidung soll bereits im Herbst fallen. Haben Sie schon weitere Informationen?
Nein. Es ist eines der Probleme, dass wir in vielen Bereichen nicht auf Faktenbasis weiterdiskutieren können, weil wir auch nicht mehr wissen, als die Öffentlichkeit weiß.
Wie würde die aktive Fanszene reagieren, wenn die Klubführung in einigen Wochen mitteilt, dass ein neues Stadion gebaut wird?
Das lässt sich schwer abschätzen. Es würde sicher Proteste und Aktionen geben. Aber es gibt keine geschlossene Front, die einen Neubau kategorisch ablehnt und einen Protestmarsch mit 100 000 Teilnehmern organisiert. Es würde uns dann wohl nichts anderes übrig bleiben, als entweder Fan von RB zu bleiben, oder sich abzuwenden. Die meisten würden sicherlich bleiben. Es gibt zwar keine Möglichkeit, bei einer Mitgliederversammlung einzugreifen; die Handhabe der Fans ist nicht so groß wie bei anderen Vereinen. Das heißt aber nicht, dass wir unsere Meinung dazu nicht kundtun würden.
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