Zank um das alte Pommern-Archiv
Will das Schweriner Kultusministerium Greifswald und Stralsund gegeneinander ausspielen?
Schwerin. Soviel scheint klar: Die historischen Akten zur Pommerngeschichte sollen im Osten Mecklenburg-Vorpommerns bleiben. Allerdings plant das Kultusministerium in Schwerin dafür eigenen Angaben zufolge keinen Neubau des Landesarchivs Greifswald. Dort lagert das Pommersche Archivgut bisher, und in der Stadt ging man bisher davon aus, dass dies so bleibt. Nun könnte aber zur allgemeinen Überraschung der Greifswalder ein Umzug nach Stralsund bevorstehen.
Wie das Kultusministerium auf dpa-Anfrage mitteilte, gibt es ein entsprechendes Angebot der Stadt Stralsund. Demnach würde Stralsund im Zusammenhang mit dem gegenwärtig betriebenen Neubau für das Stadtarchiv Stralsund zusätzlich 400 Quadratmeter Magazinfläche schaffen und dem Land zur Nutzung gegen Entgelt zur Verfügung stellen. Diese Fläche würde nach Angaben des Ministeriums für die Unterbringung der nach Stralsund zu verlagernden Greifswalder Archivalien benötigt.
Von der Stadt Greifswald sei ein der Stadt Stralsund vergleichbares Angebot kaum noch zu erwarten, hieß es weiter aus Schwerin. Als Begründung nannte das Ministerium die inzwischen in Greifswald weit fortgeschrittenen Planungen für sein neues Stadtarchiv. Greifswald will Ende 2017 mit den Bauarbeiten des sechs Millionen Euro teuren Neubaus beginnen. Greifswalds Oberbürgermeister Stefan Fassbinder (Grüne) reagierte fassungslos. »Ich erwarte, dass die Quellen zur regionalen Geschichte weiterhin in Greifwald bleiben«, sagte Fassbinder. Stralsund bestätigte, auf Anfrage des Ministeriums ein positives Votum abgegeben zu haben, das Pommernarchiv von Greifswald zu übernehmen.
Allerdings: »Die Unterbringung des Landesarchivs wäre nur durch einen zusätzlichen Bau zu realisieren, dessen Finanzierung das Land übernimmt«, sagte ein Sprecher der Stadt Stralsund. Stralsund plant derzeit ein Zentraldepot für das neue Stadtarchiv. Nach Angaben der Stadt ist dieser Neubau bereits mit den Stralsunder Beständen einschließlich einer Zuwachsreserve für die nächsten Jahre ausgelastet. Das vom Land favorisierte Mietmodell wäre damit inakzeptabel.
Die Unterbringungsmöglichkeiten im derzeitigen Landesarchiv-Gebäude in Greifswald sind schlecht. Das als Kaserne gebaute Haus sei von vornherein - also bereits beginnend mit der Erstnutzung vor etwa 70 Jahren - als Archiv nicht geeignet gewesen, hieß es aus dem Ministerium. Nach Protest aus Vorpommern hatte Schwerin Pläne, die Pommern-Akten in das Landesarchiv nach Mecklenburg zu verlagern, fallen gelassen.
Spekuliert wird nun, ob das bislang vom SPD-Politiker Matthias Brodkorb geführte Ministerium beide Städte mit den neuen Planungen gegeneinander ausspielen will. Greifswald will den Weggang nicht hinnehmen, zumal die Stadt ebenfalls eine Anfrage des Ministeriums positiv beantwortet habe, wie Fassbinder betonte. »Wir haben aber seit etwa zwei Jahren nichts mehr aus dem Ministerium gehört.« Nach der Verlagerung des Lehrstuhls für Ur- und Frühgeschichte von der Greifswalder Uni nach Rostock und dem Aus für den Lehrstuhl für pommersche Landesgeschichte wäre eine Aufgabe des Archivstandortes Greifswald durch das Land ein weiterer Verlust, sagte Fassbinder. »Die Stadt Greifswald ist nicht bereit, dieses Ausbluten der Erforschung der Landesgeschichte am bewährten Standort einfach hinzunehmen.«
Nach Angaben der Stadt Stralsund käme als Kooperation mit dem Landesarchiv Greifswald nur ein Archivverbund ähnlich wie in der sächsischen Stadt Bautzen in Betracht. Danach würden die Akten zwar unter einem Dach untergebracht, das Land müsste wegen der im Landesarchivgesetz festgeschriebenen Unveräußerlichkeit des Archivguts weiter Eigentümer seines historischen Bestandes bleiben, diesen auch betreuen und für alle anfallenden Kosten aufkommen.
Der Gesamtbestand des Landesarchivs umfasst mehr als 10 000 historische Urkunden, 8500 Meter Akten und Handschriften und über 40 000 Karten, Pläne und Risse. Aus konservatorischen Gründen sind zwei Bestände mit einem Gesamtumfang von rund 105 laufenden Metern für die Benutzung gesperrt, davon seien rund 20 Prozent beschädigt. Betroffen davon sind die Akten der Schwedischen Regierung und der hinterpommerschen Staatskanzlei. dpa/nd
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