Mittelmaß am falschen Ort
Harry Kupfer inszenierte Beethovens «Fidelio» an der Staatsoper im Schillertheater, am Pult: Daniel Barenboim
Premiere an der Staatsoper im Schillertheater« - das ist der eigentliche Fehler dieser »Fidelio«-Produktion. Überdeutlich ist sie als festliches Eröffnungsereignis für das Haus Unter den Linden zu lesen. Großer Schlusschor direkt an der Rampe, eine Umarmung des Publikums, ein Begrüßen des Hauses, worin man es sich gewünscht hatte.
Als wunderbunter Ersatz musste ein Hintergrund-Prospekt des Großen Wiener Musikvereinssaals herhalten. Am Anfang rauscht dieser riesige, die gesamte Bühnenrückseite einnehmende Bildvorhang effektvoll zu Boden. Schwarz-schieferne Wände werden sichtbar. Es ist eine Gedenk-Architektur, gleichzeitig bedrückend und edel; in die Wände sind Gefängnis-Graffiti geritzt, in der Bühnenmitte prangt ein Flügel mit Beethoven-Büste.
Die symbolträchtige Ambivalenz dieses Bühnenraums von Hans Schavernoch spiegelte Harry Kupfers Inszenierung perfekt. Kein Wunder, beide Künstler haben an die hundert Inszenierungen gemeinsam herausgebracht. Daniel Barenboim und Kupfer haben seit 15 Jahren nicht mehr miteinander gearbeitet, aber große »Ring«-Produktionen in Bayreuth und Berlin schmieden zusammen. Auch diese Personalien eröffnungspremierengemäß, womöglich sogar die Besetzung verdienstvoller bis legendärer Sänger, Falk Struckmann als Pizarro, Matti Salminen als Rocco.
Ungewöhnlich auch die fast schon romantische, seltsam düstere und gebrochene II. »Leonoren«-Ouvertüre am Beginn des Abends. Barenboim wählt ein sehr ruhiges Tempo, lässt Melodiebögen im tiefsten Piano verklingen, kreiert geheimnisvolle An- und Vorklänge, schafft Kontraste, irritiert. Bereits in Marzellines Auftrittsarie lässt er den »hohen Ton« Leonores anklingen und widerlegt so von Anfang an die abgegriffene Legende, »Fidelio« zerfiele in banales Singspiel und edle Befreiungsoper.
Evelin Novak als Marzelline trägt diesen Gedanken auch stimmlich, weltenfern aller Soubrettenmanieren ist sie eine lyrische Hochglanzbesetzung für die Partie. Träumend, hoffend, resignierend - sie ist die Frau, mit der man fühlt. Groß und glanzvoll erfüllt Camilla Nylund Beethovens Pathos der Ideal-Gattin Leonore. Ein reicher, lebendiger Ton, zart oder auftrumpfend, immer kontrolliert, dennoch mitreißend. Auf diesem staatsoperngemäßen absoluten Spitzenniveau befanden sich am Premierenabend auch die Holzbläser der Staatskapelle; in Barenboims ruhigen Tempi spielten sie unglaublich schöne Kantilenen.
Ansonsten: Kupfers Inszenierung unkonzentriert und ohne Biss, ohne seine besondere Fähigkeit, Figuren und ihre Beziehungen erhellend zu erzählen. Es ging so hin im Gefängnishof mit Eheanbahnung, Tyrannenbesuch und Gattenbefreiung. In den magischen Momenten der Musik jedoch - »Mir ist so wunderbar«, »Komm, Hoffnung«, »Gott, welch Dunkel hier«, »O namenlose Freude«, - ließ man alles stehen und liegen. Die Personen traten demonstrativ bedeutsam aus der Handlung heraus, griffen haltsuchend zu den Noten - und verzauberten tatsächlich, fern aller erdenschweren Mühsal der Machbarkeit, für den erfüllten Augenblick die Welt. Um sich danach wieder gleichmütig Eheanbahnung, Tyrannenbesuch und Gattenbefreiung zu widmen. Der Schluss lief konzertant, wieder im Musikvereinssaal.
Wie die Inszenierung begeisterte auch die männliche Sängerriege wenig: Andreas Schager, Florestan, stimmmächtig und souverän, aber viel zu selten ein Piano oder eine schattierte Farbe einsetzend. Falk Struckmann als Pizarro polterte mehr als er sang, Matti Salminen mühte sich redlich, kam achtbar durch seine Partie und gab seiner Figur als eingeschüchterter, überalterter Gefängnisaufseher tatsächlich so etwas wie ein individuelles Profil.
Der Chor singt seine anstrengenden Aufgaben, wenig überraschend, einfach als Chor. Das Finale überzeugend zu schaffen, ist musikalische Arbeit genug. Der ganze »Fidelio«: so mittel, nicht ganz schlecht, aber auch nicht gut. Und somit ist die Frist bis zum Umzug im nächsten Jahr zumindest in Sachen Eröffnungspremiere sogar noch zur Chance geworden.
Nächste Vorstellung am 7. Oktober
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