Großauftrag aus Paris rettet Alstom-Werk

Französische Regierung vermeidet Standortschließung - und damit auch ein politisches Desaster

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

Die vom Alstom-Konzern für 2018 geplante Schließung des Bahntechnikwerks im ostfranzösischen Belfort ist abgewendet. Regierung und Konzern haben dazu eine Übereinkunft getroffen, über die Industriestaatssekretär Christophe Sirugue und der Alstom-Vorstandsvorsitzende Henri Poupart-Lafarge am Dienstag bei einem Besuch in Belfort sowohl den Betriebsrat als auch die Kommunalpolitiker informierten. Demnach wird die Regierung zahlreiche TGV-Hochgeschwindigkeitszüge und Diesellokomotiven ordern, um die Aktivitäten des Werkes für die nächsten Jahre zu sichern. Die Konzernführung wird in drei Etappen bis 2020 insgesamt 40 Millionen Euro unter anderem für die für die Entwicklung eines Hybridantriebs für Loks investieren.

Das Werk in Belfort, wo seit 1879 Lokomotiven gebaut werden, sollte mangels Aufträgen geschlossen werden, während man die meisten der 480 Beschäftigten auf andere Standorte aufteilen oder umschulen wollte. In der Perspektive will Alstom hier jetzt neben Loks auch Elektrobusse bauen, zum Teil soll das Werk in ein europaweites Instandhaltungs- und Reparaturwerk umgewandelt werden. Um für die nächsten zwei Jahre die Auslastung zu sichern, bestellt der Staat sechs TGV für die internationale Strecke Paris-Turin-Mailand und weitere 15 TGV für die Verbindung zwischen Bordeaux, Toulouse und Marseille. Letztere kann heute zwar nur mit 200-250 km/h befahren werden, sie soll aber zur Hochgeschwindigkeitsstrecke mit 300-320 km/h Reisegeschwindigkeit ausgebaut werden. Der TGV-Auftrag hat ein Volumen von 650 Millionen Euro. Außerdem hat der Staat als Hauptaktionär des staatlichen Bahnunternehmens SNCF die Bestellung von 20 Diesellokomotiven veranlasst, die zum Abschleppen havarierter Züge bestimmt sind. Wie Staatssekretär Sirugue präzisierte, wurden darüber Rahmenvereinbarungen getroffen. Die eigentlichen Bestellungen werden nach und nach erfolgen und jede für sich unterhalb der Schwelle bleiben, die nach EU-Recht eine europaweite öffentliche Ausschreibung erfordern würde.

Die Gewerkschaften CGT und CFDT, die im Alstom-Betriebsrat die Mehrheit stellen, zeigten sich zufrieden über die Lösung und damit den Erhalt der Arbeitsplätze am jetzigen Standort. Sie kündigen allerdings an, die weitere Entwicklung »sehr aufmerksam« zu verfolgen. Kritischer äußerte sich die Minderheitsgewerkschaft SUD: »Die Regierung bürdet die Rechnung einmal mehr den Eisenbahnern auf«, heißt es in einer Erklärung. Damit bezieht man sich auf die Schulden der SNCF, die sich über Jahrzehnte auf 44 Milliarden Euro summierten und für die jedes Jahr mehrere hundert Millionen Euro an Zinsen gezahlt werden müssen. Aus diesem Grunde war der Staatskonzern auch nicht bereit, TGV-Züge zu ordern, die er auf absehbare Zeit nicht braucht. Während die SNCF das gesamte Streckennetz von mehr als 30 000 Kilometern betreibt, ist sie im Personenverkehr nur für das »rollende Material« der TGV-Hochgeschwindigkeitslinien zuständig. Dagegen werden die Nahverkehrszüge TER durch die jeweiligen Regionen finanziert, wobei der Staat die unrentablen, aber für die territoriale Erschließung unerlässlichen Querverbindungen selbst bezuschusst. Diese Konstruktion hat sich die Regierung jetzt zunutze gemacht, um über den Kopf der SNCF hinweg Züge im Wert von rund 500 Millionen Euro zu bestellen und so einen sozialen Brennpunkt zu entschärfen.

Kritiker vor allem von der rechten Oppositionspartei der Republikaner, aber auch aus den eigenen Reihen der regierenden Sozialistischen Partei bezeichnen die gefundene Lösung als »Bastelei« und »wirtschaftlich unverantwortlich«. Präsident François Hollande gehe es vor allem darum, im Hinblick auf die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017 auch um den Preis der sprunghaften Erhöhung der Staatsverschuldung Betriebsschließungen und Massenentlassungen abzuwenden. Hollande hängt immer noch an, dass er im Wahlkampf 2012 den Beschäftigten des Stahlwerks Florange fest zugesagt hatte, die durch den Konzern ArcelorMittal beschlossene Schließung zu verhindern - später als Präsident konnte er dieses Versprechen nicht einlösen.

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