Mutmaßungen eines Gutachters

Ein Kriminalpsychologe untersuchte die Ereignisse der Kölner Silvesternacht - auf Grundlage der gestellten Anzeigen

  • Sebastian Weiermann, Köln
  • Lesedauer: 3 Min.

Die »Süddeutsche Zeitung« titelte online am Dienstagnachmittag: »Gutachten: Silvester-Täter verabredeten sich vermutlich in Flüchtlingsheimen«. Im Kölner »Express« hieß es zur gleichen Zeit: »Kölner Silvester-Mob: Polizeiversagen ermunterte Grapscher«. Zwei Titel, die zwei Gewissheiten vermitteln, die es in dieser Form nicht gibt. Der renommierte Kriminalpsychologe Rudolf Egg war im Juli vom nordrhein-westfälischen Untersuchungsausschuss zur Silvesternacht damit beauftragt worden, die Strafanzeigen aus der Silvesternacht auszuwerten. Diese Aufarbeitung der Anzeigen, so der Ausschussvorsitzende Peter Biesenbach (CDU), sei sinnvoll, da man im Ausschuss keine Opfer vernehmen wolle, um diesen das Leid, ihre Erlebnisse noch einmal zu schildern, zu ersparen. Im Kern hat Professor Egg also eine statistische Auswertung von 1580 Anzeigen vorgenommen, die ihm zur Verfügung standen. Über 500 der Akten waren für die Auswertung nicht zu gebrauchen, da sie, aus verschiedenen Gründen, nur die Deckblätter enthielten oder mit anderen Fällen zusammengelegt wurden.

Rudolf Egg und zwei wissenschaftliche Hilfskräfte der Wiesbadener »Kriminologischen Zentralstelle« hatten also knapp 1000 Fälle, die sie auswerten konnten. Bei fast der Hälfte der Fälle handelte es sich um reine Eigentumsdelikte wie Raub oder Diebstahl. In etwa 30 Prozent der Fälle wurde ein Sexualdelikt angezeigt, wobei der Gutachter hier auf unterschiedliche Interpretationen bei der Polizei aufmerksam macht. Ähnlich beschriebene Fälle seien oft erst als »Beleidigung auf sexueller Grundlage« eingestuft und dann zur »sexuellen Nötigung/Vergewaltigung« hochgestuft worden. In seltenen Fällen seien Anzeigen auch heruntergestuft worden. Bei 17 Prozent der Anzeigen wurde eine Kombination aus Sexual- und Eigentumsdelikt angezeigt. Im weiteren Verlauf seines Gutachtens führt Rudolf Egg Details zu Tatorten, Zeiten und der Größe von Tätergruppen aus. Alle Ausführungen beruhen auf den Angaben der Opfer.

Der Untersuchungsausschuss stellte dem Gutachter auch die Frage nach der Organisierung der Täter und ob es Hinweise darauf gebe. Egg führt erwartungsgemäß aus, dass die Opfer dazu in der Regel keine Angaben machen konnten. Egg selbst stellt die Hypothese auf, dass an eine »Mundpropaganda« zu »denken« sei, die in »Flüchtlingsheimen oder anderen Wohnunterkünften« oder über soziale Netzwerke gelaufen sei, dabei sei es aber darum gegangen, den Silvesterabend gemeinsam in Köln zu verbringen. Für »äußerst unwahrscheinlich« hält es der Kriminalpsychologe, dass sich Hunderte Männer »ausschließlich« getroffen hätten, um »massenhaft Eigentums- und Sexualdelikte zu begehen«. Auf die vom Untersuchungsausschuss gestellte Frage, ob es sich bei den Kölner Ereignissen um ein neues Phänomen handelt, antwortet Kriminalpsychologe Rudolf Egg, dass er die »broken windows«-Theorie anführen würde. Die Männer hätten gemerkt, dass die Polizei nicht bei Straftaten eingriff, und hätten daraufhin selbst begonnen, welche zu begehen. Ein früheres Eingreifen der Polizei hätte das Ausmaß der Übergriffe demnach verhindern können. Ende Oktober stellt Rudolf Egg sein Gutachten im Untersuchungsausschuss vor und wird, wenn es nach Peter Biesenbach geht, auch zahlreiche Fragen zu seinen Hypothesen beantworten

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