Besser spät als nie
Die Bundesjustiz arbeitete ihre NS-Verstrickung auf
»In der Justiz lebe ich wie im Exil«, sagte der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer einmal. Und: »Wenn ich mein Dienstzimmer verlasse, betrete ich feindliches Ausland.« Damit ist treffend beschrieben, wie es um die (west)deutsche Nachkriegsjustiz jahrzehntelang stand. Bauer gehörte zu der Minderheit unter den deutschen Juristen, die sich den Nazis nicht anbiederten und andienten. Bereits im Mai 1933 verhaftet und acht Monate interniert, sah er sich zur Emigration gezwungen. Erst 1949 kehrte er nach Deutschland zurück. Dort schlug ihm heftiger Widerstand entgegen, als er 1963 den ersten Auschwitz-Prozess in Frankfurt am Main initiierte. Dessen Urteilssprüche ihn und die Opfer nicht befriedigen konnten. Kein Wunder, war doch die Mehrheit der Juristen nicht bereit zur schonungsloser Aufklärung und Ahndung von NS-Verbrechen, in die sie selbst heftigst verstrickt und verwickelt waren, die sie angeordnet und vollstreckt hatten. Täter und Mittäter fanden sich übrigens schon in dem vom Rabbinersohn Albert Norden in Auftrag gegebenen DDR-Braunbuch.
Am gestrigen Montag wurde in Berlin in Anwesenheit des Bundesjustizministers Heiko Maas (SPD) und einer seiner Vorgängerinnen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), der Bericht der Unabhängigen Wissenschaftlichen Kommission zum Umgang des Bundesministerium der Justiz mit seiner NS-Vergangenheit präsentiert. Nach Jahrzehnten des Schweigens, Vertuschens, Verharmlosens scheint ein regelrechter Aufarbeitungswettbewerb zwischen staatlichen Institutionen und Organisationen ausgebrochen zu sein. Nach dem BKA und zeitgleich mit dem BND nun also das Bundjustizministerium. Besser spät als nie.
Die Untersuchungskommission ist 2012 von Leutheusser-Schnarrenberger eingesetzt worden. Die Ergebnisse seien »bedrückend«, so Maas: Von 170 Juristen, die bis in die 1970er Jahre führende Positionen im Bonner Justizministerium besetzten, gehörten 90 der NSDAP an; jeder fünfte war obendrein Mitglied der NS-Schlägerbande SA. Das erklärt, warum die strafrechtliche Sanktionierung der NS-Verbrechen so lange hintertrieben, das Leid der Opfer ignoriert und viele, wie Homosexuelle oder Sinti und Roma, weiter diskriminiert und Kommunisten erneut verfolgt wurden.
Den Abschlussbericht »Die Akte Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit« (C.H. Beck, 588 S., geb., 29,95 €) verfassten Manfred Görtemaker, Geschichtsprofessor an der Universität Potsdam, sowie Christoph Safferling, Strafrechtsprofessor an der Universität Erlangen-Nürnberg. Der Titel nimmt Bezug auf das burgähnliche Landhaus am Venusberg in Bonn, einst Domizil des Bundesjustizministeriums.
Sowohl Maas wie auch Leutheusser-Schnarrenberger freuten sich, dass die Aufarbeitung der NS-Verbrechen sowie Kontinuitäten im Justizapparat »parteiübergreifend befürwortet« wurden und es »bereits viele positive Reaktionen« zum vorliegenden Band gibt. Die FDP-Politikerin betonte, eine schonungslose Auseinandersetzung mit der NS-Zeit sei gerade heute wichtig, da wieder Begriffe wie »völkisch« kursieren sowie Abstammung und Herkunft politische Entscheidungen bestimmen. Maas, der sich spontan als Saaldiener betätigte, das Mikrofon den fragenden Journalisten persönlich reichte, wünscht sich, angehende Juristen würden das Werk gründlich studieren. Görtemaker ergänzte: »Juristen brauchen nicht nur Fachwissen, sondern auch Gewissen.« Er forderte dementsprechend eine Verbesserung der juristischen Ausbildung.
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