Räumung des »Dschungels« von Calais begonnen
Proteste von Geflüchteten gegen Auflösung des Lagers / Etwa 6.500 Menschen müssen umsiedeln / Aktion soll etwa eine Woche lang dauern
Update 13.30 Uhr: 600 Geflüchtete haben Calais verlassen, 1250 Sicherheitskräfte im Einsatz
Bis zum späten Mittag haben bereits 600 Geflüchtete in 15 Bussen Calais in verschiedene Regionen Frankreichs verlassen. 1250 Sicherheitskräfte sind im Einsatz, berichtet »Spiegel Online«. Die Ausschreitungen der Nacht haben sich nicht wiederholt. Unruhen, die mittags in der Schlange zum Registrierzentrum entstanden, wurden von der Polizei beendet.
Update 13.20 Uhr: Brandanschlag auf geplantes Flüchtlingszentrum
Auf ein geplantes Aufnahmezentrum für aus Calais geräumte Geflüchtete im zentralfranzösischen Loubeyrat ist in der Nacht auf Montag ein Brandanschlag verübt worden. Das berichtet die französische Lokalzeitung »La Montagne«. Die Polizei gehe von einem »kriminellen und gefährlichen« Akt aus. Das Feuer sei gegen Mitternacht ausgebrochen, Einsatzkräfte der Feuerwehr hätten verhindern können, dass es sich über die Eingangshalle hinaus ausbreiten konnte. Die Polizei habe die Ermittlungen wegen Brandanschlags aufgenommen. Die Aufnahmezentren wurden von der französischen Regierung in ganz Frankreich eingerichtet, um die geräumten Geflüchteten in den Regionen zu verteilen.
Dezember 2002:
Ein Flüchtlingslager in Sangatte bei Calais wird auf Beschluss der französischen und britischen Regierung geschlossen und abgerissen. In dem Hangar hatte das Rote Kreuz seit 1999 mehr als 60.000 Flüchtlinge aus Krisenstaaten wie dem Irak, dem Iran oder Afghanistan betreut, die nach Großbritannien gelangen wollten.
Februar 2003:
Frankreich und Großbritannien unterzeichnen den Vertrag von Le Touquet in dem gleichnamigen nordfranzösischen Badeort. Der Vertrag und weitere Vereinbarungen führen faktisch dazu, dass die Grenzkontrollen für Großbritannien in Frankreich stattfinden. London finanziert im Gegenzug Kontrolleinrichtungen etwa im Hafen von Calais oder am Zugang zum Eurotunnel.
Ab 2003:
Auch nach der Schließung von Sangatte lagern Flüchtlinge in der Umgebung von Calais und versuchen, über den Ärmelkanal zu gelangen. Die Behörden vertreiben die Flüchtlinge regelmäßig.
September 2009:
Die französische Polizei löst den ersten »Dschungel« von Calais auf - eine improvisierte Zeltstadt in einem Industriegebiet, in der sich nach Schätzungen rund 2000 Flüchtlinge aufhielten. Wieder entstehen kleinere wilde Camps, manche Flüchtlinge schlagen sich auch im Stadtzentrum durch.
Frühjahr 2015:
Östlich von Calais entsteht ein neues Flüchtlingslager, der »Neue Dschungel«, der bald nur noch »Dschungel« genannt wird.
Januar 2016:
Am Rande des Lagers stellen die französischen Behörden Wohncontainer mit Platz für 1500 Flüchtlinge auf.
März 2016:
Begleitet von teils heftigen Ausschreitungen wird der südliche Teil des Flüchtlingslagers aufgelöst. Die meisten Bewohner weichen einfach in den nördlichen Abschnitt aus.
September 2016:
Die französische Regierung kündigt die endgültige Schließung des Flüchtlingslagers vor Jahresende an.
24. Oktober 2016:
Die Räumung des »Dschungels« beginnt. Zwischen 6000 und 8000 Flüchtlinge sollen in rund 450 Aufnahmezentren im ganzen Land verteilt werden. dpa
Update 11.35 Uhr: Innenminister mit Räumungsbeginn zufrieden – Unruhen in kommenden Tagen erwartet
Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve sprach am Montag in Paris von einer »ruhigen und geordneten Operation« in Calais. Derzeit laufe alles gut, weil jene Flüchtlinge zu den Bussen kämen, die »ungeduldig darauf gewartet haben, wegzugehen«. Er mache sich aber Sorgen über die folgenden Tage. »Dann sind nur noch die Leute hier, die nicht weg und weiterhin nach Großbritannien gelangen wollen.«
Update 11.20 Uhr: Zukunft von 1300 geflüchteten Kindern unklar
Im Flüchtlingslager von Calais befinden sich Schätzungen zufolge rund 1300 Kinder. Sie werden nun in ein abgesondertes Containerzentrum auf dem Gelände gebracht. Wie die Reporterin Lisa O’Carroll für die britische Tageszeitung »The Guardian« berichtet, bekommen sie Aufkleber, die den Journalisten anzeigen, dass sie nicht forografiert werden dürfen.
Update 10.15 Uhr: 500 Geflüchtete haben sich für Abreise gemeldet
Knapp drei Stunden nach Öffnung des provisorischen Empfangszentrums in Containern auf dem Flüchtlingslager haben bereits zehn Busse den »Dschungel« verlassen, 500 Menschen haben sich für die Abreise registrieren lassen. Das Zentrum soll für das Zusammenbleiben von Familien und für eine gesonderte Unterbringung minderjähriger Geflüchteter sorgen.
Update 9.45 Uhr: Ministerin kündigt Festnahmen bei Räumung und Asylprüfungen an
Die für die Unterbringung von Geflüchteten zuständige französische Wohnungsbauministerin Emmanuelle Cosse kündigte am Montagmorgen harte Maßnahmen bei der Räumung an. »Es wird sicher Festnahmen geben«, sagte sie in einem Interview auf RTL. Momentan arbeite man vor Ort jedoch noch daran, alle Lagerbewohner zur Abreise zu »überreden«. Gleichzeitig kündigte die Ministerin an, den Status der Geflüchteten in den »Willkommens- und Orientierungszentren« (CAO: Centres d’acceuil et d’orientation) zu überprüfen, in die sie nach der Räumung in ganz Frankreich gebracht werden sollen. »Wir werden insbesondere überprüfen, ob sie bereits in einem anderen Land einen Asylantrag gestellt haben«, so die Ministerin gegenüber dem Sender.
Update 9.35 Uhr: Katholische Hilfsorganisation befürchtet Rückkehr nach Calais
Während im Transitzentrum des wilden Flüchtlingslagers von Calais Hunderte Menschen eingetroffen sind, um auf ihre Abfahrt in Bussen zu warten, befürchten Hilfsorganisationen die Rückkehr zahlreicher Geflüchteter in die nordfranzösische Stadt. »Es gibt Menschen aus Kuwait, Syrien, Afghanistan und Sudan, die von vornherein wissen, dass sie nach Calais zurückkommen werden«, zitiert die linke französische Tageszeitung »Libération« Maryam Guerey von der Hilfsorganisation »Secours catholique«. Die Geflüchteten würden bald versteckt unter Brücken und in Parks schlafen. Den Versuch, nach Großbritannien weiterzureisen, würden sich viele der Menschen in Calais nicht nehmen lassen.
Update 9.20 Uhr: Erster Bus ist abgefahren
Um Punkt 8.00 Uhr öffneten am Montagmorgen die Tore eines nahe des Lagers eingerichteten Versammlungspunktes, von wo aus die Flüchtlinge auf Busse verteilt werden sollen. Der erste Bus mit Flüchtlingen fuhr bereits gegen 8.40 Uhr ab. Insgesamt 60 Busse sollen am Montag abfahren und zwischen 2000 und 2500 Flüchtlinge in Unterkünfte im ganzen Land bringen.
Räumung des »Dschungels« von Calais begonnen
Berlin. Im nordfranzösischen Calais hat die Auflösung des Flüchtlingslagers begonnen. Vor einem Registrierzentrum in der Nähe des »Dschungel« genannten Camps warteten am Montagmorgen mehrere hundert Migranten. Sie sollen dort ab acht Uhr befragt werden, bevor sie auf ganz Frankreich verteilt werden. Das sagte ein Sprecher der Präfektur Pas-de-Calais der Deutschen Presse-Agentur. Den Menschen sollen zwei Regionen vorgegeben werden, zwischen denen sie wählen können. Ausgenommen sind Paris und Korsika. Viele trugen Koffer und Kleiderbündel bei sich, berichtet die AFP.
Manche Bewohner lehnen es allerdings ab, das Lager in der Nähe des Ärmelkanals zu verlassen. Sie fürchten, dass sie dann keine Chance mehr auf die gewünschte Weiterreise nach Großbritannien haben. In dem Camp hatten zuletzt etwa 6.500 Menschen in Zelten und Hütten gelebt. Die französischen Behörden wollten das Lager schon seit geraumer Zeit auflösen. Hilfsorganisationen versuchten dies mit juristischen Mitteln zu verhindern, doch ein Verwaltungsgericht gab am Dienstag grünes Licht für die Räumung. Die Räumung soll etwa eine Woche lang dauern.
In der Nacht war es erneut zu Protesten gekommen. Migranten versuchten, auf eine nahegelegene Autobahn zu gelangen. Sie seien von der Polizei zurückgedrängt worden. Polizisten feuerten Tränengasgranaten an einer Umgehungsstraße des Hafens und im Lager ab, wo sie dutzenden Steine werfenden Flüchtlingen gegenüber standen. Es habe aber keine Verletzte gegeben. Agenturen/nd
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