Neue Allianzen für weniger Ackerei

In Brüssel diskutierte man über Möglichkeiten zur Reduzierung der Arbeitszeit - ohne Gewerkschaften

  • Thomas Gesterkamp
  • Lesedauer: 3 Min.

»Mir ist es zu ruhig in den Gewerkschaften, was die Arbeitszeitdebatte angeht«, sagt Thomas Händel, Abgeordneter für die LINKE im EU-Parlament. Der langjährige IG-Metall-Bevollmächtigte in Fürth hatte Ende vergangener Woche nach Brüssel geladen, um Vertreter aus Politik, Gewerkschaft, Nichtregierungsorganisationen und Wissenschaft auf europäischer Ebene zu vernetzen. Beteiligt waren auch christliche Gruppen wie die Katholische Arbeitnehmerbewegung (KAB) und der evangelische Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt. Eine neue Entwicklung, wie Martin Schirdewan, Leiter des Brüsseler Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung, herausstellt: »Es ist das erste Mal, dass wir als Stiftung mit einer katholischen Organisation auf einer gemeinsamen Einladung stehen.«

Es sind neue Allianzen, an denen die Gewerkschaftsführungen nicht beteiligt sind. Ein offizieller Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) war trotz Einladung nicht erschienen. Lange vorbei sind auch die Zeiten, als die IG Metall kämpferisch für die 35-Stunden-Woche mobilisierte. »Seit Mitte der 1990er Jahre steigen die Arbeitszeiten wieder«, betont EU-Parlamentarier Händel. »Faktisch haben wir immer noch den 40-Stunden-Standard in Europa«, resümiert Steffen Lehndorff, Forscher am Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg/Essen.

Gerade Deutschland mit seinen immensen Exportüberschüssen braucht eigentlich dringend Initiativen, um weniger zu arbeiten - schon um die wirtschaftlichen Ungleichgewichte in der Eurozone zu verringern. Doch in den Gewerkschaften ist davon, abgesehen von Dienstleistern von ver.di und den Beschlüssen einzelner Frauengremien, kaum etwas zu spüren.

»Mein Leben. Meine Zeit. Wir denken Arbeit neu«, formuliert nebulös und ohne viel Biss die aktuelle Kampagne der IG Metall. Wie schon sein Vorgänger Detlef Wetzel beschränkt sich der derzeitige IGM-Vorsitzende Jörg Hofmann weitgehend auf Rhetorik. Er spricht von einem »Mega-Thema«, das aber »so viele Facetten« habe, dass angeblich kein Spielraum für flächendeckend kürzere Arbeitszeiten bestehe. Übrig bleiben harmlose Detailforderungen, wie: »den Verfall von Überstunden bekämpfen«.

So ist es kein Zufall, dass eher Nichtregierungsorganisationen das Thema forcieren. Die Brüsseler Veranstaltung ging von der deutschen Attac-Gruppe »ArbeitFairTeilen« und dem französischen »Collectiv Roosevelt« aus, das unter gleichem Namen auch in Belgien aktiv ist. In Großbritannien setzt sich die New Economic Foundation für die 21-Stunden-Woche ein - das ist die durchschnittliche Arbeitsdauer inklusive aller Teilzeit und prekärer Beschäftigter auf der Insel. In Schweden experimentiert die linke Stadtverwaltung von Göteborg mit dem Sechs-Stunden-Tag bei vollem Gehalt, Zielgruppe sind vor allem überlastete Krankenschwestern. In Deutschland folgen christliche Gruppen dem Leitbild einer »Tätigkeitsgesellschaft«, die auch die unentgeltlich geleistete Sorgearbeit einbezieht.

In Gewerkschaften und Parteien fehlt meist dieser das »ganze Leben« umfassende Ansatz. Die IG Metall hat zwar vor ein paar Jahren eine große Mitgliederbefragung durchgeführt. Ein Ergebnis war der hohe Stellenwert einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und privaten Verpflichtungen. In den folgenden Tarifverhandlungen jedoch konzentrierte sich die größte Einzelgewerkschaft wie gewohnt darauf, mehr Geld zu verlangen. Kürzere Arbeitszeiten für alle stehen schlicht nicht auf der Agenda.

»Es ist schwierig, in Deutschland eine gewerkschaftliche Kampagne für die 30-Stunden-Woche zu starten«, glaubt Steffen Lehndorff. Wegen der Vielfalt der Lebenslagen könne man »nicht mit einer einzigen Zahl operieren«. Der IAQ-Forscher empfiehlt, »lange Vollzeit zu skandalisieren und kurze Vollzeit attraktiv zu machen«. Die widersprüchlichen Signale aus der IG Metall sieht er als »Suchbewegung« - eine wohlwollende Interpretation, der sich auf der Brüsseler Tagung nicht alle Teilnehmenden anschließen mochten. Die Abschlussdeklaration verlangt dezidiert »eine Verkürzung der Arbeitszeit mit vollem Lohnausgleich zumindest für die unteren Einkommensgruppen und bei vollem Personalausgleich«.

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