Vom Leiden der »Leibeigenen«
In Paderborn beginnt der Mordprozess um das Horrorhaus in Höxter
Das erste Auftreten der Angeklagten im Gericht ist schwer zusammenzubringen mit den monströsen Vorwürfen, die der Staatsanwalt ihnen macht: Planvoll und grausam sollen Angelika und Wilfried W. Frauen mit Kontaktanzeigen in ihr Haus ins ostwestfälische Höxter gelockt haben, um sie zu ihren Leibeigenen zu machen, sie systematisch zu quälen und zu misshandeln. Zwei Frauen starben. Nun steht das Duo vor dem Landgericht Paderborn.
Mit einer roten Aktenmappe vor dem Gesicht betritt Angelika W. den großen Schwurgerichtssaal. Hinter ihrem Schutzschild aus Papier harrt sie aus, bis die Kameraleute den Raum verlassen haben. Als sie die Mappe sinken lässt, gilt ihr erster Blick dem Ex-Mann, der zwei Meter entfernt sitzt. Der 46-Jährige hatte sich beim Eintreten ganz anders gegeben als die ein Jahr ältere Mitangeklagte: Aufrecht blickt Wilfried W. den Kameraleuten in die Linsen. Er wirkt gelassen, nicht wie einer, dem lebenslänglich und vielleicht sogar Sicherungsverwahrung drohen. Nur ein nervöses Augenzucken kann er nicht verbergen. Vor dem Prozessauftakt hatte sein Anwalt Detlev Binder betont, sein Mandant bestehe darauf, nicht die treibende Kraft hinter den Misshandlungen gewesen zu sein.
Oberstaatsanwalt Ralf Meyer geht jedoch davon aus, dass beide Angeklagte gemeinsam ihre Opfer quälten und misshandelten. 20 Minuten trägt Meyer am Mittwoch grausame Details aus der Anklageschrift vor. Gegenstand des Verfahrens sollen zwei Todesfälle und Dutzende Körperverletzungen sein – auch an zwei weiteren Opfern, die lebend entkamen. Ein Vorfall soll sich schon vor dem Umzug nach Höxter-Bosseborn abgespielt haben. Ermittlungen zu weiteren möglichen Geschädigten dauern an.
Angelika und Wilfried W. hatten sich scheiden lassen. Sie blieben im Haus wohnen und entschieden, mit Partnerschaftsanzeigen eine Frau zu suchen, die Wilfried W. als Leibeigene dienen sollte. Sie fanden Annika F. aus Uslar, die 2013 aus Niedersachsen nach Höxter zu dem Paar zog, das sich als Bruder und Schwester ausgab. Annika F. heiratete Wilfried. Erst dann hätten die Gewalttätigkeiten begonnen, um nach und nach ihren Willen zu brechen, so der Staatsanwalt.
Sie sei verbrüht, geschlagen, gewürgt worden. Wilfried habe ihr die Beine weggeschlagen, den Fuß auf die Kehle der Liegenden gesetzt. Sie habe seinen Urin trinken müssen, sei mit einem Elektroschocker gequält worden. Weil es die Angeklagten gestört habe, dass sie nachts zur Toilette ging, fesselten sie ihr Opfer. Sie musste in der Badewanne ausharren, wurde mit kaltem Wasser abgespritzt oder mit heißem Wasser verbrüht. Einmal soll die Angeklagte das Wasser so lange laufen gelassen haben, dass Annika fast ertrank. Wilfried habe die Bewusstlose aus dem Wasser gezogen. Nach Monaten der Misshandlungen sei sie so geschwächt gewesen, dass sie nicht mehr laufen konnte. Schließlich sei sie auf den Hinterkopf gestürzt, als Angelika W. sie abrupt nicht mehr stützte. Sie starb wenig später.
Tödlich ging das Martyrium 2016 auch für Susanne F. aus dem niedersächsischen Bad Gandersheim aus. Auch sie hatte sich in Wilfried W. verliebt, soll ihm hörig gewesen sein, bevor die Züchtigungen begannen. Die Haare seien ihr büschelweise ausgerissen worden, Angelika W. habe sie mit einem Gürtel gewürgt. Die Fesseln an den Handgelenken verursachten Wunden. Sie musste nächtelang angekettet auf dem Boden schlafen. Dann sollen die Angeklagten die völlig geschwächte Frau so lange hin- und hergeschubst haben, bis sie mit dem Kopf gegen einen Schrank schlug.
Erst ihr Tod im Krankenhaus ließ auffliegen, was jahrelang im von den Medien »Horrorhaus von Höxter« getauften Hof passiert sein soll. Angelika W. erzählte den Ermittlern viele Details. Auch vor Gericht will sie aussagen. »Meine Mandantin hat Taten eingeräumt, die weit über das hinausgingen, was anfänglich Gegenstand der Ermittlungen war«, sagt ihr Anwalt Peter Wüller. Sie habe damit sowohl sich selbst als auch ihren Ex-Mann schwer belastet. Wer welche Rolle gespielt hat bei den tödlichen Misshandlungen, wird in einem langen Prozess zu klären sein. Bis Ende März haben die Prozessbeteiligten bereits Termine verabredet. dpa/nd
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