Klimaschutz-Zensoren der Nation

Eva Bulling-Schröter darüber, was vom Klimaschutzplan 2050 übrig ist und warum es eine politische Klimaschutzwende braucht.

  • Eva Bulling-Schröter
  • Lesedauer: 4 Min.

Nächsten Montag beginnt in Marokko die nächste UN-Klimakonferenz. Auf den ersten Blick sieht es für den Klimaschutz ganz gut aus: Erstmals liegt ein Vertrag vor, der alle Länder zu Klimaschutz verpflichtet, um die Erderwärmung auf »weit unter 2 Grad« bis Ende des Jahrtausend zu begrenzen. Schwarz auf weiß werden den armen und finanzschwachen Staaten dieser Erde 100 Milliarden US-Dollar zugesichert, die ab 2020 jedes Jahr von Nord nach Süd fließen sollen. Und so schnell wie nie wurde das »Pariser Abkommen« ratifiziert, so dass es übermorgen, pünktlich zur COP22 in Marrakesch (7.-18. November) in Kraft, tritt.

Klima gerettet? Nein! Dafür reicht ein Blick nach Berlin, Hauptstadt des selbsternannten Klimaschutz-Vorreiters. Eigentlich wollte das Umweltministerium im Energiewende-Musterland Made in Germany den »Geist von Paris« nicht sofort wieder zurück in die Flasche drücken. Das Ministerium am Potsdamer Platz unter Leitung von Ministerin Barbara Hendricks hatte darum die Ausarbeitung einer »Dekarbonisierungsstrategie« versprochen. Viel CO2 braucht es, um dieses Wort auszuatmen. Worum es geht ist etwas leichter: Klima-Planwirtschaft. Natürlich nicht wie im Osten, als Klima-Diktatur, wo die Polizei Klimasünder in den Öko-Knast steckt. Auch keine Konfiszierung von schmutzigen VW-Dieselautos per grünem Ukas, Massenentlassungen bei Daimler, RWE und Co. – alles Ängste, die Vertreter der alten, schmutzigen Wirtschaftsweise bis heute gerne aufrufen. Aber ja, in dem »Klimaschutzplan 2050« will die Politik Wege und Wegmarken festgeschlagen, eine Strategie und Struktur vorgeben, die das Industrieland zwischen Sylt und Zugspitze bis Mitte des Jahrhunderts »nahezu klimaneutral« macht.

Dafür, dass das Umweltministerium von der Kohlekumpel-SPD geführt wird, war der Plan gar nicht so übel. Hier einige Klimaschmankerl: »Investitionen in fossile Strukturen mit einer Nutzungsdauer über 2050 hinaus führen zu Kapitalvernichtung und werden zu hohen unternehmerischen und gesellschaftlichen Folgekosten führen«. Das ist wohl richtig. Die ökologische Modernisierung wird mehr Wohlstand bringen. Genau darum müssen diese Investitionen, genauso wie die horrenden Subventionen von Kohle, Öl und Gas, immerhin 500 Milliarden US-Dollar Jahr für Jahr, so schnell wie möglich aufhören. Oder das: »Um das Klimaschutzziel 2050 zu erreichen, wird die Stromerzeugung und damit die Energiewirtschaft bis dahin vollständig dekarbonisiert, um insgesamt das Klimaschutzziel 2050 zu erreichen. Da die Kernenergie ab 2022 wegfällt, muss die Stromerzeugung bis 2050 auf erneuerbare Energien umgestellt werden.« Auch genau richtig, die alten Kohlekraftwerke müssen so schnell wie möglich abgeschaltet werden. Und bis 2035 kann die letzte Dreckschleuder bei steigendem Ökostromanteil dann endlich vom Netz. Oder dieser Vorschlag. Um dem Klimasünder Verkehr, dessen Treibhausgas-Emissionen seit 1990 sogar leicht zu, statt wie nötig abgenommen haben an den Kragen zu gehen, werden mehr Zuschüsse für Elektroautos, ein massiver Ausbau von öffentlich zugänglicher Stromtankstellen und die weitere Elektrifizierung von öffentlichem Nahverkehr und Straßengüterverkehr vorgeschlagen. Finanziert werden soll das Ganze durch den »sukzessiven Abbau der bisherigen bestehenden Steuerprivilegien bei Diesel-PKW«, lautete der moderate, völlig unrevolutionäre Vorschlag der ministerialen Klimaschutzplaner.

Doch selbst das war schon zu viel des Guten. Alle hier aufgeführten Forderungen, und noch viel mehr, haben die Klimazensoren der Nation gestrichen, zensiert, einkassiert. Heute steht vom Plan nur noch eine Fata Morgana. Sowohl das SPD-Wirtschaftsministerium unter Sozen-Chef Sigmar Gabriel, das Verkehrsministerium, das Landwirtschaftsministerium (CSU), und wohl auch das Kanzleramt, haben so gut wie jede greifbare Zielmarke und konkrete Maßnahmen aus dem Plan gekickt. Auch wird sich das Kabinett vor der Marrakesch-Konferenz am kommenden Mittwoch nicht einmal auf eine weichgespülte Klima-Absichtserklärung einigen können. Anders kann man den Klimaschutzplan 2050 nicht mehr nennen. Mit breiter Brust gestartet, sollten »insbesondere die Zwischenziele zum Erreichen der langfristigen Treibhausgasneutralität für die Zeit nach 2020 verankert, die konkreten nächsten Reduktionsschritte im Lichte der europäischen Ziele mit Maßnahmen unterlegt und ein transparenter Monitoring- und Beteiligungsprozess installiert« (gestrichen) werden.

Stolz ist der Klimaschutzplan gestartet, ein gerupftes Huhn steht am Ende des Spießrutenlaufs von Ministerien und Wirtschaftslobby. Richtlinienkompetenz der Kanzlerin zur Überstimmung der Klimabremser, immerhin leitete Merkel die erste COP in Berlin, 1995, damals noch als Umweltministerin – Fehlanzeige! Was bleibt ist die Einsicht, dass das Kabinett Merkel seine Klima-Hausaufgaben nicht schafft, nicht schaffen will. Dass nicht einmal ein unverbindlicher Klimaschutzplan möglich ist. Dass Denk- und Schreibverbote für mehr Klimaschutz herrschen. Für mich als Klima- und Energiepolitikerin ein weiterer Beleg dafür, dass Deutschland nicht nur eine Energiewende, nicht nur eine Verkehrswende, Agrarwende und Gebäudewende braucht. Nötig ist nicht weniger als eine politische Klimaschutzwende. Der Weg dafür geht nur über einen Regierungswechsel.

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