Denn sie wollen nicht wissen, was sie tun

Begegnungen mit dem fröhlichen WhatsNepp - eine Suche nach kritischem Umgang mit sozialen Netzwerken

  • Christiane Pfohlmann
  • Lesedauer: 8 Min.

Der Briefträger klingelt. Sie öffnen und er kündigt in kumpelhaftem Ton an: »Du überlässt mir ab sofort einen Wohnungsschlüssel. Ich will jederzeit Zutritt zu allen Räumen und das Recht, in deinen Schubladen zu wühlen und beliebige Dinge herauszunehmen, auch solche, die dir von deinen Freunden anvertraut wurden. Ansonsten bringe ich keine Post mehr.«
Mit dieser fiktiven Szene konfrontierte ich neulich einige Menschen in meinem Bekanntenkreis, Altersgruppe Ü40 wohlgemerkt, nachdem sie Ende September arglos den neuen Nutzungsbedingungen des weit verbreiteten Messengerdienstes WhatsApp zugestimmt hatten. WhatsApp ließ sich von seinen Nutzern bestätigen, dass es ab sofort die Kontaktdaten im Handy-Adressbuch auslesen und an den Mutterkonzern Facebook weiterleiten darf - also auch die Daten von völlig unbeteiligten Menschen, die mit beiden Unternehmen gar nichts zu tun haben (wollen).
Die WhatsApp-Nutzer versicherten dem Konzern sogar, dass sie von ihren Kontakten, also Freunden, Angehörigen, Kunden usw., zu dieser Datenweitergabe »autorisiert« seien. Wer damit nicht einverstanden ist, kann den Dienst nicht mehr nutzen. Darüber klärte ich tagelang in vielen Gesprächen auf. Ich will niemandem den Messenger wegnehmen, mit dem er unkompliziert Botschaften, Bilder und Videos austauschen kann. Ich habe aber auch niemanden autorisiert, über meine Daten zu verfügen. Ehrlich gesagt bin ich tief verstört über das, was ich in den Gesprächen erlebte.

1. Außer mir, die ich diese Software gar nicht nutze, hatte so gut wie keiner der von mir angesprochenen WhatsApp-»Kunden« eine Ahnung, was in den frisch unterschriebenen Bedingungen steht. Ich hatte die Information aus dem Fernsehen und der guten alten Presse - dort stand alles groß und in leserlichen Buchstaben, die man nicht einfach mit dem Finger wegwischen konnte.
Anfangs dachten wir, man müsse nur in den Einstellungen ein Häkchen entfernen; dass sei dann eine Art Widerspruch gegen die Datenweitergabe und alles wäre gut. Nach weiterer Recherche stellte sich allerdings heraus, dass man der Forderung von WhatsApp nach Datenweitergabe gar nicht widersprechen kann, außer man steigt ganz aus. Ich rechnete mit gerechter Empörung über solcher Nötigung. Der Ärger war aber überraschend leise oder blieb sogar ganz aus. Den oben beschriebenen unverschämten Briefträger würden dieselben Menschen sicher hochkant rausschmeißen und bei der Polizei anzeigen. Heißt der Briefträger aber WhatsApp, geht die Reaktion kaum über ein resigniertes Schulterzucken hinaus. Vermutlich, weil er im Gegensatz zum Briefträger der viel smartere Typ ist, seinen Hintergrundgeschäften unsichtbar nachgeht und nicht so nach schäbigem Mindestlohn aussieht.
Was ist hier los?

Hintergründe

Der vor sieben Jahren in den USA gegründete Mitteilungsdienst WhatsApp beteuerte bei seiner Übernahme durch Facebook im Februar 2014: »Und das wird sich für euch, unsere Benutzer, ändern: Nichts.« Auch Facebook-Chef Mark Zuckerberg versprach bei dem 19 Milliarden US-Dollar teuren Kauf, die Daten der heute mehr als eine Milliarde NutzerInnen nicht auswerten zu wollen.

Inzwischen hat der geplante Informationsaustausch der Unternehmen längst europäische DatenschützerInnen auf den Plan gerufen. Sie wollen ihn näher untersuchen und fordern einstweilen den Stopp dieser Praxis. In einer aktuellen Mitteilung äußerte die sogenannte Artikel-29-Gruppe »ernste Bedenken gegenüber dem Informationsaustausch für Zwecke«, die nicht in den Datenschutzrichtlinien enthalten waren, als sich die meisten NutzerInnen für den Dienst anmeldeten.

Am 25. August hatte WhatsApp bekanntgegeben, seine Nutzungsbedingungen und Datenschutzrichtlinie ändern zu wollen. Konkret heißt es in den neuen Nutzungsbedingungen: »Du stellst uns regelmäßig die Telefonnummern in deinem Mobiltelefon-Adressbuch zur Verfügung, darunter sowohl die Nummern von Nutzern unserer Dienste als auch die von deinen sonstigen Kontakten.« Darüber hinaus verzeichnet der Dienst nach eigenen Angaben, wie oft und mit wem NutzerInnen Kontakt haben (Fachbegriff: Metadaten).

WhatsApp-UserInnen hatten zwar 30 Tage Zeit, der Übermittlung ihrer Telefonnummer zu Werbezwecken an Facebook zu widersprechen, allen anderen Punkten musste aber notgedrungen zugestimmt werden, um den Dienst weiter nutzen zu können. Auch ein Löschen des eigenen Accounts war Erfahrungsberichten einiger UserInnen zufolge nach Ablauf der 30-Tage-Frist unmöglich, ohne den neuen Bestimmungen zuzustimmen.

Die Einwilligungserklärung ist sehr umstritten. Nach Einschätzung des Hamburger Verbraucherschützers Johannes Caspar ist allein die Klausel »Du bestätigst, dass du autorisiert bist, uns solche Nummern zur Verfügung zu stellen« rechtlich unwirksam, da es schier unmöglich sei, die Zustimmung aller Kontakte im eigenen Adressbuch einzuholen, außerdem gebe es keine gesetzliche Grundlage für den Datenempfang.

Unmittelbar nach Bekanntgabe der Änderung verhängte Caspar eine Verwaltungsanordnung, die Facebook untersagte, Daten von deutschen NutzerInnen des Kurzmitteilungsdienstes zu erheben und zu speichern. Darüber hinaus forderte der Bundesverband der Verbraucherzentrale WhatsApp auf, eine Unterlassungserklärung abzugeben, nach der keine Daten mehr an den Mutterkonzern weitergeleitet werden. Bislang weigerte der Konzern sich dagegen, dies zu tun. Gegen ihn laufen mehrere Klagen. fbr

2. Kein einziger Nutzer hat von sich aus gefragt, ob ich damit einverstanden bin, dass er meine private Rufnummer an Facebook-Chef Mark Zuckerberg weiterleitet, obwohl er das gegenüber WhatsApp behauptet hat: »Adressbuch. (...) Du bestätigst, dass du autorisiert bist, uns solche Telefonnummern zur Verfügung zu stellen, damit wir unsere Dienste anbieten können.«
Darauf angesprochen meinte eine Bekannte: »Ich ruf doch nicht 40 Leute an und frag die alle um Erlaubnis!« Ich fragte zurück: »Warum nicht? Wie sehr respektierst du eigentlich die Menschen, die dir nahe stehen?«
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3. Das Interesse an den miesen, für meine Begriffe nicht rechtskonformen Geschäftspraktiken von WhatsApp hielt sich bei den meisten in seltsam engen Grenzen. »Schön ist das nicht, aber ich will das weiter nutzen, ich kann ja gar nicht mehr ohne. Außerdem ist es kostenlos«, war da zu hören. Der Tonfall war manchmal gereizt; aufmerksames Zuhören oder gar eigene Recherche zum Thema waren selten. Die wenigsten wollten es so genau wissen, ähnlich wie beim Frühstücksei aus der Legebatterie. Die Bereitschaft, die eigene Großmutter zu verkaufen, nur um dabei zu bleiben, ist offensichtlich enorm, und irgendwann tauchte in meinem Kopf plötzlich das Wort »angefixt« auf. Mancher schob seine ganze Hoffnung und Verantwortung auf die Hamburger Datenschutzbehörde, die WhatsApp tatsächlich die Datenweitergabe untersagt und die entsprechende Klausel als »unwirksam« beurteilt haben. »Die werden das hoffentlich hinbiegen«, glauben sie. Ich teile diesen Optimismus nicht, denn transnationale Konzerne wie Facebook finden Wege, um deutsche Gesetze zu umgehen, ähnlich wie beim Steuerrecht. Facebook klagt ja auch schon gegen die Anordnung. Bis zur Klärung des Sachverhalts sind die wertvollen Daten, auf denen schließlich das ganze Geschäftsmodell basiert, wohl längst in der Scheune.
Nach meiner Beobachtung ist es WhatsApp jedenfalls gelungen, erwachsenen Menschen innerhalb kürzester Zeit einzureden, sie wären sofort sozial isoliert, wenn sie sich ausklinken oder zur datenschutzfreundlichen Konkurrenz wechseln. Da wird das tiefe Grundbedürfnis des Menschen nach Zugehörigkeit schamlos ausgenutzt, und wenn dann jemand mit einem spaßbremsenden »Aber ...« kommt, ist schnell Schluss mit Lustig. Viele hatten jahrzehntelang guten Kontakt mit Freunden und Familie - ohne WhatsApp. Plötzlich ist zwischenmenschliche Verbindung ohne genau dieses Programm angeblich nicht mehr denkbar, weil ja jetzt »alle« dabei sind. Haben wir die Entscheidungshoheit über unsere Beziehungen endgültig an einen transnationalen Konzern abgegeben?
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4. An die Stelle von Nachdenklichkeit und Zweifel am Geschäftsmodell rückte bei manchen ein irritierendes Rechtfertigen, bei einzelnen gar echtes Verkäuferverhalten, natürlich ohne Bezahlung durch das Unternehmen. Mit Begeisterung wurden mir die unschlagbaren Vorteile von WhatsApp angepriesen (die sich für mich persönlich alle wie Nachteile anfühlen). Das hält die Personalkosten im Konzern natürlich knapp: Die Kunden werben selbst am effizientesten im eigenen sozialen Umfeld (angeblich liegen die Ausgaben von WhatsApp für Reklame bei Null).
Vor Monaten bekam ich z. B. eine SMS von einer deutlich jüngeren Bekannten. Erst freute ich mich über die Nachricht, da sie sich selten meldet. Dann las ich, sie wolle mich für WhatsApp werben. Der Text stellte sich als Standardtext von WhatsApp heraus, versendet unter ihrem Namen. Sie hatte das wohl irgendwann mal erlaubt, wusste aber nichts mehr davon. Ein persönliches Anliegen an mich hatte sie nicht; ich war genervt.
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5. »Wenn ich dir eine klassische SMS schreiben muss, muss ich extra raus aus WhatsApp, das ist dann schon etwas umständlich!« Der leicht vorwurfsvolle Unterton löste bei mir reflexhaft Schuldgefühle aus und ich fragte erschüttert nach dem Kalorienverbrauch, der durch das Extrawischen mit dem Zeigefinger entsteht. In mir wuchs tiefes Mitgefühl für derart überlastete Wohlstandsmenschen. Wird die Entscheidung, ob man mit jemandem Kontakt hält, jetzt nicht mehr nach Bindung und Sympathie getroffen, sondern nach solchen Fragen: Hat er/sie WhatsApp oder nicht? Muss ich zwei Mal wischen oder vier Mal?
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6. Beliebt war die Antwort »Hab dich nicht so, die wissen doch längst alles.« Ich fragte zurück: »Wenn das so ist - warum schredderst du dann sinnloserweise immer noch die Unterlagen deiner Kunden in diesem Aktenvernichter? Leg sie doch einfach auf die Straße?« Und: »Warum hängst du dann all deine Passwörter nicht einfach da vorne in den Schaukasten?«
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7. Es gab auch Ausnahmen. Ein Freund entschloss sich tatsächlich, sich aufgrund dieser Vorgänge von WhatsApp zu verabschieden. Er hielt es für eine Zumutung, was man da von ihm verlangte. Zwei Tage später sagte er: »Ich fühle mich, als wäre ich aus einer Sekte ausgetreten.« Der Satz war frei von Ironie.
Was ist hier los?

Was steckt eigentlich hinter all den lustigen bunten Logos auf dem Smartphone? Irrwitzig große und reiche, geschickt verflochtene Firmen mit enormer Macht, zynische Geschäftemacher, die kaltschnäuzig den Rechtsbruch wagen, die sich über niedliche nationale Datenschutzgesetzchen und putzige Bußgeldchen schief lachen. Weltkonzerne, für die keiner zuständig ist; Global Player, bei denen Politiker schüchtern um Gesprächstermine und Autogramme betteln.
Erinnern wir uns - was steckt hinter den sogenannten Kontaktdaten? Immer noch ganz reale Menschen. Menschen mit Gefühlen, Bedürfnissen und Rechten, die zum Smartphonebesitzer in einer ganz individuellen Beziehung stehen. Diese Menschen wollen in der Regel selbst entscheiden, mit wem sie Kontakt haben und wie viel sie an Privatsphäre brauchen. Nicht alle Tiere wollen sich dem Jäger freiwillig vor die Flinte werfen mit der Haltung »Der kriegt mich sowieso«. Und nicht alle Tiere finden es witzig, wenn ein bereits gefangenes Tier dem Jäger mitteilt, wo all die anderen stecken, und zwar GPS-genau für den gezielten Abschuss mit Werbe- oder irgendwann auch scharfer Munition.
Ich warte derzeit auf eine Antwort von Mark Zuckerberg, dem Chef von Facebook. Vor Wochen habe ich ihm geschrieben und ihn aufgefordert, mir unverzüglich seine private Handynummer zu geben, nachdem er sich meine hintenrum erschlichen hat. Ich habe seit meiner lästigen Aufklärungsarbeit ja leider keine Freunde mehr und muss mich sozial komplett »neu aufstellen« (Sie haben mich spontan aus ihrem Adressbuch gelöscht und damit vielleicht auch aus dem Gedächtnis). Zuckerberg erschien mir da der richtige Ansprechpartner, der kennt etwa 1,9 Milliarden interessante Leute. Das Wort »Bitte« habe ich in meinem Brief übrigens weggelassen, weil Mark es anscheinend selbst nicht so besonders liked.
Nun fürchte ich aber, dass meine Brieftaube an der dicken Mauer abgeprallt ist, die Herr Zuckerberg gerade um seine Privatvilla mit angrenzendem Privatstrand bauen lässt, um sich vor neugierigen Blicken und ungebetenen Besuchern zu schützen.
He, Zuckerberg - was ist los?

Christiane Pfohlmann ist Karikaturistin und zeichnet regelmäßig für »neues deutschland«.

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