Geduldet, nicht geliebt

Reinhard Grindel ist jetzt ein richtiger DFB-Präsident, Aufbruchstimmung verbreitet er nicht

  • Frank Hellmann, Erfurt
  • Lesedauer: 4 Min.

Die erste Reaktion bestand aus mehrmaligem Kopfnicken: Reinhard Grindel hielt sodann den Blumenstrauß bereits in der Hand, als der einstimmig für eine dreijährige Amtszeit als Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) gewählte 55-Jährige sich im Scheinwerferlicht bedankte: »Es ist schön, ein richtiger Präsident und nicht nur einer auf Bewährung zu sein. Das ist ein großer Rückenwind.« Doch schon der recht zurückhaltende Applaus aus dem Auditorium zeigte: Da hat einer am Freitag die Chance verstreichen lassen, eine Aufbruchstimmung in der größten deutschen Sportorganisation zu erzeugen. Tenor in den Fluren der Erfurter Messe: allseits geduldet, aber noch nicht geliebt.

Vor allem das Amateurlager, also die Masse der fast sieben Millionen Mitglieder in 25 000 Vereinen, scheint im Vergleich zu ersten Kür im Frühjahr sogar skeptischer geworden zu sein. Mag das offizielle Motto beim 42. Ordentlichen DFB-Bundestag »Vereint neue Wege gehen« geheißen haben, so brachte ausgerechnet Vizepräsident Rainer Koch als Amateurvertreter die angespannte Gemengelage auf den Punkt: »Die Stimmung an der Basis ist nicht gut.«

Grindel muss sich gefallen lassen, die kritisch-konstruktiven Beiträge den Präsidiumsgefährten überlassen zu haben. Wie Generalsekretär Friedrich Curtius einräumte, habe die Affäre um die Vergabe der Weltmeisterschaft 2006 den DFB »in seinen Grundfesten erschüttert«, weshalb der Jurist den 258 Delegierten erfolgreich vorschlug, die Entlastung der ehemaligen Führung mit Ex-Präsident Wolfgang Niersbach und Ex-Generalsekretär Helmut Sandrock zurückzustellen. Hintergrund: Der Verband möchte sich nach den laufenden Ermittlungen der Frankfurter Staatsanwaltschaft etwaige Ansprüche vorbehalten, zumal mit Stand 21. Oktober bereits 5,36 Millionen Euro netto allein an Rechtskosten entstanden sind.

Grindel hingegen schlussfolgerte im WM-Skandal wagemutig einen »Vollzug«. Seine persönliche Vermutung geht ja so, dass der am Ende der verwinkelten Geldflüsse stehende Mohammed bin Hammam aus Katar die ominösen 6,7 Millionen Euro für die Wiederwahl Sepp Blatters als FIFA-Präsident 2002 eingesetzt hat. Bewiesen ist das nicht.

Als Folge der Enthüllungen ist nunmehr eine Ethikkommission installiert, an deren Spitze der frühere Bundesjustiz- und Außenminister Klaus Kinkel tritt. Grindel findet das Gremium »top besetzt«, aber ist ein bald 80-Jähriger, der auch im Kuratorium der Bundesliga-Stiftung sitzt, wirklich mit dem erforderlichen Jagdinstinkt versehen? Und nur Lesezeichen mit den zehn »Compliance-Regeln« zu verteilen, wie in Thüringens Landeshauptstadt geschehen, wird kaum ausreichen, wenn mehr Transparenz nicht in allen Abteilungen in Frankfurt am Main gelebt wird.

Reinhard Grindel hat erneut beteuert, wie sehr ihm an der Einheit zwischen Profis und Amateuren liegt. »Noch nie ist der Amateurfußball so gefördert worden«, rief der gebürtige Hamburger aus - der lauthals eingeforderte Beifall fiel indes vergleichsweise leise aus. Eingedenk der exorbitant steigenden Fernseherlöse für die 36 Vereine der 1. und 2. Bundesliga wird der Graben allein an der Schnittstelle zur Dritten Liga wohl unüberwindbar tief.

Und was das Lippenbekenntnis wert ist, wird sich bei den »ergebnisoffenen Gesprächen« (Grindel) über eine Reform des DFB-Pokals zeigen. Die Europapokalteilnehmer wollen sich die erste Runde entweder ersparen oder sie mindestens hinter den Bundesligastart verschieben, was eigentlich grober Unfug wäre. Inwieweit der Politprofi Grindel hier vor Drohgebärden aus der Liga einknickt, darf als Gradmesser für seine Glaubwürdigkeit gelten. »Der DFB-Pokal verkörpert die Seele des Fußballs - und diese Seele muss unantastbar bleiben«, warnte Koch. »Ein Landespokalsieger muss weiter auf einen großen Bundesligisten in der ersten Runde hoffen dürfen.«

Beinahe nebenbei gab Grindel bekannt, dass es den nächsten außerordentlichen DFB-Bundestag 2017 braucht, um die zweite Verteuerung der geplanten Akademie zu legitimieren. Unabhängig von den gerichtlichen Streitereien um die dafür auserkorene Frankfurter Galopprennbahn scheint der Erklärungsbedarf gewaltig: Die Rede ist jetzt von 125 Millionen Euro statt ursprünglich 89. Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff soll helfen, die fünf Regionalverbände zu überzeugen, dass es zu diesem Preis eine innovative Denkfabrik mitsamt neuer DFB-Heimat braucht. So lief denn vorsichtshalber ein erstes Werbefilmchen für ein Leuchtturmprojekt, das vermutlich nicht so einfach abgenickt wird wie die gestrige Präsidentenwahl.

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