UN-Vertrag sucht Gebrauchsanweisung
Ab diesem Montag werden Diplomaten die Details klären, wie die Erderwärmung gestoppt werden kann
In Paris gab es die Party, in Marrakesch folgt der Kater. Im vergangenen Jahr haben die UN in der französischen Hauptstadt einen Weltklimavertrag verabschiedet. Die Staaten versprechen darin, den Klimawandel auf »deutlich unter zwei Grad« zu beschränken. Wenn möglich, soll es auf der Erde sogar nur 1,5 Grad wärmer werden als vor der Industrialisierung - das hat man allerdings nicht versprochen. So weit zu den hehren Zielen. Wie sie umgesetzt werden sollen, das müssen die Diplomaten der fast 200 UN-Staaten in den kommenden zwei Wochen in der »roten Stadt« Marokkos anfangen zu regeln.
Auf den Tisch kommt alles Technische - alle Details, die den diplomatischen Erfolg von Paris wohl verhindert hätten. Es gilt, eine Art Gebrauchsanweisung für den Klimavertrag zu schreiben. »Das ist zwar politisch keine Riesensensation, aber damit das Ganze ernst genommen und umgesetzt wird, muss das jetzt passieren«, sagt Christoph Bals von der Umweltorganisation Germanwatch.
Ein Ziel in Marrakesch ist es, die Klimazusagen der einzelnen Länder so aufzubereiten, dass sie vergleichbar sind. Weil der UN-Klimaschutz den Staaten nicht mehr von oben herab Pflichten auferlegen will, dürfen diese sich nämlich selbst aussuchen, wie viel CO2 sie bis 2030 einsparen wollen und wie sie das anstellen. 123 Länder haben nationale Klimaziele beim UN-Klimasekretariat eingereicht, mit denen sie zum Erreichen der Temperaturziele beitragen wollen. 92 davon haben den Vertrag auch schon ratifiziert, also »zu Hause« in den nationalen Parlamenten ein Gesetz daraus gemacht.
Das Problem: Den Klimazielen fehlt sozusagen der gemeinsame Nenner. Deutschland etwa will 2030 mindestens 40 Prozent weniger CO2 ausstoßen als 1990. Die USA wollen bis 2025 ihre Emissionen um mindestens 26 Prozent gegenüber 2005 senken. Andere Länder haben wieder andere Zeitmarken gesetzt. Das heißt, dass man allein an den prozentualen Angaben nicht erkennen kann, welches Ziel stark ist und welches nicht.
Außerdem müssen die Diplomaten in Marrakesch weiter daran arbeiten, Lösungen für Verluste und Schäden durch den Klimawandel zu finden. Es geht um Fragen wie: Soll ein Land von der Staatengemeinschaft entschädigt werden, wenn durch den Klimawandel Sturmfluten häufiger werden, die das Land zerstören? Oder wenn durch den Temperaturanstieg ganze Landstreifen nicht mehr nutzbar sind?
Auf dem UN-Klimagipfel 2013 in Warschau haben die Verhandler den sogenannten Warschau-Mechanismus zum Umgang mit Schäden und Verlusten beschlossen. Der läuft nun aus. In Marokko arbeiten die Verhandler nun an einem neuen Fünf-Jahres-Plan. Allerdings könnte es sein, dass dieser erst in ein, zwei Jahren beschlossen wird. »Ich sehe noch nicht, dass wir schon an dem Punkt sind, Grundsatzentscheidungen zu fällen«, sagt Sven Harmeling von der Hilfsorganisation Care. Denn die Industrieländer weigern sich bisher, den Zugang zu den Geldtöpfen zu öffnen.
Deutschlands Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) wird wohl mit weitgehend leeren Händen nach Marrakesch fahren. Der Klimaschutzplan 2050, in dem die Bundesrepublik ihren langfristigen Klimaschutz festschreiben will, wird einfach nicht fertig. Eigentlich hätte er in der vergangenen Woche im Bundeskabinett beschlossen werden sollen, doch schon zum zweiten Mal hat die Große Koalition das nun verschoben.
Bereits vor der Ressortabstimmung hatten Wirtschaftsministerium und Kanzlerin den Rotstift angesetzt und die meisten konkreten Maßnahmen - etwa einen Ausstieg aus der Kohleverstromung - gestrichen. Einem Bericht der »Süddeutschen Zeitung« vom Wochenende zufolge hat das Umweltministerium nun zwar einen neuen, deutlich ambitionierteren Entwurf verfasst, dieses dementiert die Meldung allerdings
Womöglich wird Deutschland in Marokko aber weitere Finanzzusagen machen. Interessant dürfte aber vor allem eine Initiative werden, welche die Bundesregierung auf dem Gipfel vorstellen will: Sie will Entwicklungsländern dabei helfen, ihre Klimapläne umzusetzen und mehr Ökoenergien zu installieren - dieser Punkt soll stärker in die Entwicklungsplanung integriert werden.
Wie der Gipfel verläuft, darauf werden wohl die USA großen Einfluss haben, allerdings nicht unbedingt vor Ort in Marrakesch. Am Dienstag wählen die US-Amerikaner, wer ab dem kommenden Jahr ihr Staatsoberhaupt sein wird. Die Kandidatin der Demokraten, Hillary Clinton, ist zwar klimapolitisch weniger versiert als etwa Amtsinhaber Barack Obama oder ihr früherer parteiinterner Konkurrent Bernie Sanders - der Republikaner Donald Trump allerdings leugnet gar, dass es die menschengemachte Erderwärmung überhaupt gibt.
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