Mossul in den Zwingen brutaler Gewalt
Nach dem Islamischen Staat werden schiitische Milizen zur grausamen Geißel der Zivilbevölkerung
In ihrem Leben hat er viel gesehen. »Doch auf das hier hat uns niemand vorbereitet«, sagt Dr. Fahdi al-Muhandis, ein Chirurg. Hunderte warten vor dem kleinen Krankenhaus, in dem Muhandis heute Dienst hat; Schussverletzungen, Brandwunden, Verletzungen auch, die kaum noch einen Menschen erkennen lassen. »Dies ist ein Krieg gegen Zivilisten«, sagt Muhandis. »Oft glaube ich, dass es nur darum geht, möglichst vielen Menschen möglichst schwere Verletzungen zuzufügen.«
Mittlerweile ist die Offensive des Bündnisses aus irakischer Armee, den kurdischen Peschmerga und den Volksmobilisierungskräften (VMK), einem schiitischen Milizenverbund, im Stadtzentrum von Mossul angekommen, wobei dort vor allem Armee und VMK kämpfen. Auch einige sunnitische Milizen, die von der Türkei unterstützt werden und keine offiziellen Bündnispartner sind, sollen dort gegen den IS kämpfen. Zehntausende sind deshalb auf der Flucht, und die Berichte der Flüchtlinge lassen auf einen Kampf schließen, der mit extremer Brutalität geführt wird.
Die Kämpfer des Islamischen Staates versuchen, die Stadt mit menschlichen Schutzschilden und Sprengfallen zu halten; in den Ortschaften rund um Mossul hat der IS Hunderte von selbst gebauten Minen zurückgelassen. Und in den Gebieten, aus denen der IS vertrieben wurde, terrorisieren die VMK die Bevölkerung. »Nachdem die Milizen in unser Dorf eingerückt waren, haben die Männer einfach Leute erschossen«, sagt ein Mann namens Mahmud, der aus einem Ort westlich von Mossul stammt. »Warum, weiß keiner.«
Die irakische Generalstaatsanwaltschaft geht davon aus, dass Angehörige der VMK nach der Vertreibung des IS aus Falludscha im Juni mindestens 300 Sunniten getötet haben. Ein Untersuchungsbericht des Parlaments geht von bis zu 900 Toten aus. Die Regierung versprach damals, man werde die Verantwortlichen vor Gericht stellen, doch das Verfahren dümpelt vor sich hin. »Die Beschuldigten sind nun wieder in Mossul im Einsatz«, sagt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft.
Sowohl die irakische Regierung als auch Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, das die Offensive militärisch unterstützt, sprechen indes ungern über die VMK. Man gehe davon aus, dass die irakische Regierung die Milizen »komplett« unter Kontrolle habe, sagt ein Sprecher in Washington, und verweist auf die Falludscha-Offensive. Damals sei die irakische Regierung auf amerikanischen Druck hin erfolgreich eingeschritten; die Milizen hätten sich aus Falludscha zurückgezogen. Doch Augenzeugenberichte lassen darauf schließen, dass die Milizionäre einfach irakische Uniformen anzogen. Ein Regierungssprecher sagt, dies sei »im Einzelfall« vorgekommen.
Der IS-Sonderbeauftragte Brett McGurk erklärte auf einer Pressekonferenz, die US-amerikanischen Luftangriffe würden nur solche Milizen unterstützen, die »zu 100 Prozent« unter Kommando der irakischen Regierung stehen. Doch wie schwer es der US-Regierung fällt, dies auch sicherzustellen, zeigt sich daran, dass eine ganze Reihe von Milizen der VMK mit US-Rüstungsgütern agieren, die ursprünglich an die irakische Regierung geliefert wurden.
Darunter ist auch eine Miliz namens Asaib Ahl al-Haq, der nicht nur eine Vielzahl von Verbrechen an der Zivilbevölkerung zur Last gelegt werden; während der amerikanischen Besatzung wurde die Miliz für Hunderte Anschläge gegen US-Truppen verantwortlich gemacht. In den vergangenen Tagen flog die US-Luftwaffe mehrere Angriffe zur Unterstützung dieser Miliz.
Viele der VMK-Milizen werden von Iran und der Hisbollah unterstützt. Kais al-Khazali (VMK) und Hadi al-Amiri, Chef der Badr-Brigaden, der ebenfalls Kriegsverbrechen vorgeworfen werden, trafen sich in der vergangenen Woche zunächst mit Regierungschef Haider al-Abadi. Und setzten sich dann mit Kassem Soleimani zusammen: Er ist der Chef der iranischen Kuds-Einheit, einer paramilitärischen Gruppierung, die unter anderem die Hamas und den Islamischen Dschihad mit Waffen beliefert.
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