»Wolyn« belastet polnisch-ukrainische Beziehungen

Ein Film erinnert an ein schauriges Kapitel in der Beziehungsgeschichte der Nachbarländer

  • Wojciech Osinski, Warschau
  • Lesedauer: 4 Min.

Der polnische Regisseur Wojtek Smarzowski zeigt in seinen Filmen die menschlichen Abgründe in ihrer unverhüllten Drastik. Was er fast schon mit einer manisch anmutenden Unbedingtheit zu erkunden sucht, ist die Neigung des Menschen zur Grausamkeit. Er erzählt von Irren und Verbrechern, Entrechteten und Ausgestoßenen, Henkern und Opfern. Allen Perversitäten zum Trotz sehnen sich seine Figuren jedoch trotzdem nach Liebe. Bisher war gesellschaftliche Kritik in seinen universellen Kunstwerken allenfalls Beiwerk.

Wurden die früheren Beiträge stets kontrovers diskutiert, so wird sein aktueller Kinofilm »Wolyn« (Wolhynien) von Kritikern einhellig gelobt. Obgleich Smarzowski selbst nie in Versuchung geraten ist, die eine Welt gegen die andere auszuspielen oder gar seine Geschöpfe zu bewerten, so ist diese Zurückhaltung in einem historischen Film schwierig.

»Wolyn« hat nicht nur die Anerkennung heimischer Rezensenten geerntet, sondern belastet auch das Verhältnis zur Ukraine, erzählt er doch von einem der schaurigsten Kapitel der gemeinsamen Beziehungsgeschichte: dem Massenmord ukrainischer Nationalisten an der polnischen Landbevölkerung in Wolhynien im Jahr 1943. In einer Region, in der bis zum Zweiten Weltkrieg beide Völker harmonisch miteinander auszukommen vermochten. Seinen Höhepunkt erlebte das Massaker am sogenannten Blutsonntag (11. Juli 1943), an dem mit ungeheuerlicher Bestialität 100 polnische Dörfer angegriffen wurden. Von der Idee eines erstarkten Nationalstaates unter deutschen Auspizien geleitet, haben viele Ukrainer ethnische Säuberungen durchgeführt. Dabei wurden bis zu 60 000 Polen getötet, zudem auch zahlreiche Juden, Russen und Armenier. Monatelang haben Zivilisten und Mitglieder der UPA sowie der OUN des Nazi-Kollaborateurs Stepan Bandera in dem rechtlosen Grenzraum gebrandschatzt, vergewaltigt und gemordet.

In diesem Jahr schlug der Jahrestag des »Blutsonntags« besonders hohe Wellen, noch bevor Smarzowskis Film in die Kinos kam. Vor dem Sejm haben mehr als 300 Angehörige der Wolhynien-Opfer gefordert, den 11. Juli zum gesetzlichen Feiertag erklären zu lassen, darunter der bekannte Priester Tadeusz Isakowicz-Zaleski. »Das ist ein heiliger Tag, Hundertschaften der ukrainischen Aufstandsarmee und der Zivilbevölkerung haben absichtlich einen Sonntag ausgewählt, weil sie wussten, dass sie die Polen in den Kirchen überraschen. Ganze Familien und Priester wurden noch während der Heiligen Messe mit Sensen zerstückelt«, erzählt der Pfarrer Tadeusz Isakowicz-Zaleski, der in seinen Büchern seit Jahren den Opfern von Wolhynien erinnernd gedenkt. »Kaczynski hat als Oppositionsführer das Massaker mehrfach als Völkermord bezeichnet. Er sollte nun seinen Worten Taten folgen lassen«, so der Geistliche.

Die effektvolle Kundgebung zeigte Wirkung: Zehn Tage später wurde im Sejm ein entsprechender Beschluss verabschiedet. Vorher versuchte die Ukraine noch, die Wogen zu glätten. Präsident Petro Poroschenko verließ Anfang Juli den NATO-Gipfel in Warschau, um an einem Denkmal für die Wolyn-Opfer Blumen niederzulegen. Das war nicht immer so. Amtsvorgänger Wiktor Juschtschenko hatte sich positiv über die Banderisten geäußert und der rechtsextreme Prawyj Sektor weigert sich bis heute, von Völkermord zu sprechen. Allerdings unterschrieb auch Juschtschenko im Sommer einen offenen Brief an die Polen, der mit »Wir bitten um Vergebung - und vergeben selbst« überschrieben war.

Der Begriff »Völkermord« kommt der ukrainischen Führung jedoch bis heute nicht über die Lippen. Tatsächlich wurden in einem Vergeltungsakt der polnischen Heimatarmee ebenfalls 3000 Ukrainer ermordet, was in dem Beschluss vom Juli auch hervorgehoben wird. Dennoch wurde die Resolution in der »Werchowna Rada« harsch kritisiert.

»Eine Verbrüderung mit den Ukrainern ist sinnlos, wenn die dortigen Politiker nicht den Anstand haben, das Massaker von 1943 als Völkermord zu verurteilen«, sagt Isakowicz-Zaleski. Dass auch viele Polen die Versöhnung nicht wollen, hält der Regisseur Smarzowski für falsch. »Mein Film richtet sich nicht gegen die Ukrainer, sondern gegen extreme Nationalismen. Es ist aber vor allem ein Film über die Liebe in unmenschlichen Zeiten«, sagt der Filmemacher. »Wolyn« erzählt nicht nur die Liebesgeschichte einer Polin und eines Ukrainers, sondern war auch als ein polnisch-ukrainisches Projekt geplant. Auf dem Filmfestival in Odessa hatte Smarzowski einst für sein Vorhaben geworben, doch nicht jeder fand den Mut, ihn zu unterstützen. Auch darf sein Film im Nachbarland noch nicht gezeigt werden.

Die Ukraine will eine innenpolitische Debatte über das Thema Wolhynien in ihrer fragilen Situation möglichst vermeiden, zumal rechte Politiker in Kiew ohnehin gern Öl ins mediale Feuer gießen. Der Stadtrat entschied zuletzt, eine der hauptstädtischen Straßen nach Stepan Bandera zu benennen.

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