Cyborg

Smarte Worte 16: Geschichten über Automaten und Roboter reichen historisch weit zurück. Heute bezeichnet »Cyborgs« Hybridwesen aus Organismus und Maschine.

  • Lesedauer: 4 Min.

Cyborg leitet sich von »cybernetic organism« ab und bezeichnet Hybridwesen aus Organismus und Maschine. Der Begriff entstand im Kontext des »Wettlaufs ins All«. So richtig populär wurden Cyborgs allerdings erst durch das Kino und die Literatur, beispielsweise als »Six-Million-Dollar-Man«, »Bionic Woman«, »Borg-Kollektiv« etc. Wesentlich ausformuliert und erweitert wurde das Konzept Cyborg dagegen in der feministischen Theorie und in der Science-Fiction.

Der Biokybernetiker Manfred Clynes und der Psychiater Nathan Kline verwendeten den Begriff erstmals 1960 in einem Aufsatz, in dem sie Raumfahrt weniger als technische, sondern vor allem als geistige Herausforderung charakterisierten. Zukünftige Astronauten (wohlgemerkt die männliche Form) sollten den Bedingungen des Weltraums angepasst werden, und zwar nicht durch Schutzanzüge, sondern durch biochemische, physiologische und elektronische Modifikationen an ihnen selbst. Der Raumfahrer als »sich selbst steuerndes Tier-Maschine-System« sei befreit von allen körperlichen Begrenzungen und könne so ungehindert entdecken, schaffen, denken und fühlen. Weder einem Gott noch der Evolution sei das Schicksal der Menschheit länger unterworfen.

Geschichten über Automaten und Roboter reichen historisch weiter zurück. Cyborgs waren jedoch erst durch die Kybernetik, die Lehre von der Kommunikation, Steuerung und Regelung von Maschinen, lebenden Organismen und sozialen Organisationen, möglich geworden. Denn die auf militärische Forschung zurückgehende Kybernetik entwirft Lebewesen und Maschinen als »im Grunde gleich«, als lebende und technische Systeme. Information als körperlose Entität hat nichts mehr mit Inhalt oder Bedeutung zu tun. Infolgedessen lässt sich die gesamte Welt als eine Frage der Kodierung darstellen. Planeten, Pflanzen, Menschen, Tiere, Maschinen – alle werden gleichermaßen als Kommunikationssystem beschrieben und können entsprechend zerlegt und neu kombiniert werden, sie alle unterliegen einer Logik der Investition und des Tauschs.

Das Mainstream-Kino wurde durch diese Ideen zu Robocops und Replikanten angeregt. Der US-amerikanischen Wissenschaftsforscherin* Donna Haraway hingegen diente das Bild der Cyborgs als komprimierte Karte einer (be)streitbaren Welt und als Figur für emanzipatorische, nicht-identitätslogische Politiken und (Selbst-)Praktiken zugleich. In ihrem 1985 verfassten »Manifest für Cyborgs« verglich sie die gesellschaftlichen Entwicklungen im Gefolge der Informations- und Kommunikationstechnologien mit den Umbrüchen der industriellen Revolution. Das weiße kapitalistische Patriarchat in seiner zeitgenössischen Form bezeichnete sie entsprechend als »Informatik der Herrschaft«. In den 1980er Jahren ist die Informatik der Herrschaft geprägt durch Reagans »Krieg der Sterne« (SDI – Strategic Defense Initiative), durch die weltweite Herausbildung einer neuen Arbeiterklasse, in der Frauen* die meiste Arbeit verrichten und Arbeit »feminisiert« wird, internationale Arbeitsteilung, Informatisierung sowie die Verquickung von Bio- und Informationstechnologien. Sollen die veränderten Lebensverhältnisse nicht nur erlitten, sondern auch mitgestaltet werden, müssen feministische Analysen den neuen Herrschaftsverhältnissen Rechnung tragen.

Darüber hinaus fragt Haraway, wenn Planeten, Menschen, Tiere, Pflanzen, Maschinen – wenn alle als Kommunikationssystem betrachtet werden, welche Gemeinsamkeiten tun sich dann auf, was ist das Verbindende zwischen Menschen und Maschinen, Menschen und Pflanzen, Maschinen und Pflanzen etc.? Die Frage nach den Gemeinsamkeiten ermöglicht es, Dualismen wie Natur/Technik, männlich/weiblich, schwarz/weiß etc. aufzubrechen – Dualismen, die sich in einer Zeit, in der viele Menschen Technik wie Smartphones und andere Gadgets als Erweiterung ihrer selbst verwenden, ohnehin nicht halten lassen. Das Aufbrechen der Dualismen ist Haraway wichtig, weil sie diese als »systematischen Bestandteil der Logiken und Praktiken der Herrschaft [...] über all jene, die als «Andere» konstituiert werden«, betrachtet. Hier verbindet sie also zwei Argumentationen, die nie zusammengedacht worden waren: eine kritische Analyse der Technowissenschaften einerseits und postkoloniale Bestrebungen, ein politisches Kollektiv aus dem Nicht-Identischen zu entwerfen, andererseits.

Schreiben ist bei Haraway eine der bedeutendsten Cyborg-Technologien. Schreiben ermöglicht, gegen die Übersetzung vielfältiger Bedeutungen in den einen eindeutigen Code zu kämpfen. Schreiben ermöglicht darüber hinaus, zentrale Geschichten neu oder anders zu erzählen und dabei Hierarchien und naturalisierte Identitäten zu verrücken. Beispiele hierfür findet Haraway in lesbischen und Chicana-Literaturen. Gerade in der feministischen Science Fiction jedoch werden Geschichten erzählt, die Dualismen, wie weiblich/männlich, Mensch/Maschine, primitiv/zivilisiert etc. infrage stellen. Aktuell sind es die Cyborgs in postkolonialen queer-feministischen Science-Fictions, die auf höchst spannende Weise nicht nur dominante okzidentale Erzählungen, sondern auch unsere Vorstellungen von Technologien herausfordern. (df)

Zum Weiterlesen:

Haraway, Donna: Ein Manifest für Cyborgs. Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften, in Hammer, Carmen u.a. (Hrsg.): Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen, Frankfurt a.M. 1995, S. 33–72.

Fink, Dagmar: Lese ich Cyborg, lese ich queer?, in: Babka, Anna/Hochreiter, Susanne (Hrsg.): Queer Reading in den Philologien. Modelle und Anwendungen, Göttingen 2008, S. 157–170.

Hopkinson, Nalo: Midnight Robber, New York 2000.

Filme:
»Ghost in the Shell«, R: Mamoru Oshii, J 1995.
»Dandy Dust«, R: A. Hans Scheirl, A/GB 1998.
»The Last Angel of History«, R: John Akomfrah, GB 1996.

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