Gebete, Askese und Stille
Bei den letzten Wüstenvätern auf Mallorca
Ein alter Mann mit grau-brauner Kutte öffnet die schwere Holztür. Er trägt den selbst gewählten Namen »Einsiedler Gabriel« und lächelt freundlich hinter seinem dichten Vollbart. Mit seinen 72 Jahren ist Gabriel der jüngste der vier Eremiten, die in der Einsiedelei der Heiligen Dreifaltigkeit in Valldemossa auf Mallorca leben. Die Männer sind die letzten bekannten Mönche, die noch der strengen Lebensform der »Wüstenväter« folgen, die sich im dritten Jahrhundert in die ägyptische Wüste zurückgezogen hatten, um ihr Leben der Askese und dem Gebet zu widmen. Wenn sie sterben, wird damit ein uraltes Erbe der Christenheit verlöschen.
»Ein Jammer«, meint Felio Bauzá, der ein Buch über diese tiefreligiöse Tradition seines Heimatdorfes geschrieben hat. Der Anwalt lebt zwar heute in der Hauptstadt Palma, stammt aber aus dem 20 Kilometer nördlich gelegenen Valldemossa, das malerisch hoch über dem Mittelmeer thront. »Meine ganze Jugendzeit lang habe ich die Eremiten immer sonntags und an Feiertagen gesehen, wenn sie ins Dorf kamen und in der Kirche an der Messe teilgenommen haben«, erzählt er. »Mit dem Buch wollte ich ein Zeugnis über ihr Leben für die kommenden Generationen hinterlassen.«
Bis vor wenigen Jahren gab es noch sechs Einsiedler in zwei Eremitagen. Nachdem zwei gestorben waren, wurde 2010 die Einsiedelei von Betlem in Artà geschlossen. Die vier verbleibenden Mönche im Alter zwischen 72 und rund 80 Jahren leben nun in Valldemossa. Früher, bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, habe es noch fast 60 Einsiedeleien auf Mallorca gegeben, betont Bauzá. Jetzt steht die uralte Tradition vor ihrem Ende.
Die Lebensregeln der »Kongregation der Einsiedler von Sankt Paul und Sankt Antonius« sind strikt und spartanisch, unendlich weit weg von der lauten Welt der Smartphones und Tablets. Gegründet wurde der Orden im 17. Jahrhundert von dem Mallorquiner Juan Mir, selbst seit seinem 15. Lebensjahr Eremit. Die von ihm verfassten Regeln fußen auf der Lebensweise der ersten Eremiten des Christentums: Paulus von Theben und Antonius Abbas - den ägyptischen »Wüstenvätern«.
Auf einer schlichten weißen Wand ist auf einer Holzplatte zu lesen: »Die Grundlage des Einsiedlerlebens sind Buße und Gebet, seine Verzierung ist das Schweigen, sein Schutz der Rückzug und sein Ziel die Einheit mit Gott.« Im praktischen Leben heißt das: Aufstehen gegen vier Uhr morgens und dann: Beten, Beten, Beten. Rund 18 Stunden am Tag rezitieren die Einsiedler Psalmen und Gebete, mal still und nach innen gerichtet, mal gemeinsam in der Kapelle. Erst am späten Abend dürfen sie sprechen. Selbst wenn sie mit ihrem zerbeulten gelben Renault R4 ins Dorf fahren, beten die Mönche den Rosenkranz.
»Ihr einziges Ziel ist es, für Gott zu leben, nicht für andere, nicht für sich selbst, nur für Gott«, sagt Bauzá und lässt den Blick über die mallorquinische Küste wandern. Der Ausblick von der Einsiedelei ist atemberaubend schön. Rechts liegt eine kleine Steinkapelle, davor der Friedhof, im von Zypressen bewachsenen Garten steht eine Statue von Ordensgründer Juan Mir. Ihre Lebensmittel bauen die Mönche größtenteils selbst an, in einem kleinen Feld wachsen Zitrusbäume und Gemüse. Fleisch gibt es nur einmal pro Woche, Alkohol ist tabu. Auch ihre Kutten nähen die Mönche selbst. Früher fertigten sie sogar ihre Sandalen mit der Hand. Für Fotos posieren sie derweil nur ungern, es gibt nur eine Handvoll Bilder.
Wieso entscheidet sich ein Mensch zu so einem abgeschiedenen Leben fernab der Zivilisation? »Ich habe das nicht gewählt, sondern Gott hat mich gerufen. Und solche Berufungen sind ein Mysterium«, sagt Gabriel, der manchmal für Besucher kurz sein Schweigen bricht. Er ist seit seinem 29. Lebensjahr Einsiedler, »denn die Anwärter müssen alt genug sein, um sicher zu sein, dass sie das überhaupt aushalten«, sagt Bauzá. Gabriel hatte zuvor Klöster in der Umgebung besucht und Bücher zum Thema gelesen. Auch sein Onkel lebte als Eremit.
Aber das waren andere Zeiten. Heute findet sich kein Nachwuchs mehr für die Einsiedelei in Valldemossa. »In den letzten 20 Jahren hat es nur zwei oder drei Interessenten gegeben, aber dieses tiefreligiöse Leben war zu hart für sie«, erklärt Bauzá, der für sein Buch zwei Jahre recherchiert hat und den Einsiedlern dabei so nah gekommen ist wie kaum ein anderer. Gabriel hat noch eine andere Erklärung: »Die jungen Leute sind heute mit zu vielen Dingen beschäftigt, sie umgibt zu viel Lärm, so dass sie die Berufung gar nicht hören können.«
Über ein Ende ihrer Lebensform mögen die Mönche nicht nachdenken. »Sie wollen davon nichts hören und werden nicht gern danach gefragt«, erklärt Bauzá. »Vielleicht wird Gott uns ja jemanden schicken, der die Tradition fortführt«, laute ihr Credo.
Aus der Küche dringt der Duft gebratenen Gemüses. Mittagszeit. An den Bergen ziehen tiefhängende Wolken entlang, Vögel zwitschern, unten rauscht das Meer. Dieser Ort strahlt eine eigenartige Spiritualität aus, man mag hier verweilen. Aber dennoch: Ist es nicht schwer, tagaus, tagein ununterbrochen zu beten? »Nicht für mich«, schmunzelt Gabriel, schließt die Holztür und verschwindet in der Stille. dpa/nd
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