Piraten mit Sturmgewehren und Panzerfäusten

Ex-Kapitän Jan Kahmann ist an Bord, als nach 400 Jahren in der Hansestadt erstmals wieder Seeräuber verurteilt werden

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Situation im Gerichtssaal ist bedrückend. Zwanzig Pflichtverteidiger stehen den zehn angeklagten Somaliern zur Verfügung. Zuschauer sitzen im Hintergrund, hinter einer Glaswand verborgen. Der Einzige, der sich den langen Prozess im Landgericht Hamburg über 105 Verhandlungstage freiwillig angetan hat, ist Jan Kahmann, von Beruf Kapitän auf Großer Fahrt.

Der Fall: Das Hamburger Containerschiff »Taipan« war im April 2010 mit einer Besatzung von 15 Seeleuten rund 500 Seemeilen östlich des Horns von Afrika überfallen worden. Piraten griffen das Schiff auf zwei Motorbooten an. Mit Sturmgewehren und Panzerfäusten bewaffnet, eröffneten sie aus 200 Metern das Feuer auf die Brücke der »Taipan«. Dabei wollten die Angeklagten nach Auffassung des Gerichtes die Besatzung nicht töten, sondern in Deckung zwingen, um anschließend das Schiff kapern zu können. Die Seeräuber planen, die Besatzungsmitglieder als Geiseln zu nehmen, um später ein Lösegeld für ihre Freilassung und die Herausgabe des Schiffes zu erpressen.

Nach vier Stunden wurde die Seeleute von der niederländischen Fregatte »Tromp« befreit. Die Angeklagten wurden festgenommen und in Hamburg im Oktober 2012 zu Freiheitsstrafen zwischen sechs und sieben Jahren sowie zu Jugendstrafen von jeweils zwei Jahren verurteilt. Die »Einlassung« von Angeklagten, sie seien für die Piraterie mittels Täuschung, Drohung oder Gewalt zwangsrekrutiert worden, hat das Gericht als unzutreffende Schutzbehauptung zurückgewiesen.

Als »Freibeuter« wurden die Kidnapper dagegen im Internet glorifiziert - oder mit rassistischen Parolen zur Selbstjustiz aufgerufen. Über die Opfer, die Besatzung, wurde wenig berichtet. Ein Schauprozess war das Verfahren nicht. Zwar stießen somalisches und deutsches Rechtsempfinden heftig aufeinander, etwa wenn Zeugen vom Gericht Schmiergelder erwarteten. Aber für den früheren Kapitän Kahmann ist klar: »Dieses Verfahren war absolut notwendig.« Ihm geht es um die Seeleute, die selbst meist aus armen Ländern und Verhältnissen stammen, und um die Freiheit der Meere. Im Jahr des »Taipan«-Kidnappings waren 220 Schiffe angegriffen geworden, 60 davon wurden »gekapert«.

Das Argument, die Armen der Welt dürften sich ihren Teil vom westlichen Kuchen als Piraten holen, teilt Kahmann nicht. Die Opfer wären Matrosen und Offiziere auf Handelsschiffen. Aber auch die Täter beschreibt er als Opfer. Nicht direkt der EU-Fischereipolitik, wie in Deutschland oft vereinfacht wird. Die Fischgründe vor Puntland - der Herkunftsregion der meisten Angeklagten - hätten sich in den vergangenen Jahren erheblich erholt. Außerdem berichteten die Angeklagten selbst, wie sie ihren Lebensunterhalt vor der Tat auf andere Weise bestritten hatten, als Arbeiter im Steinbruch, Hafenarbeiter, Mechaniker oder Wachmann.

Kahmanns Prozessbeobachtungen entfalten ein grausiges Panorama aus regionalen Eliten in Somalia, afrikanischen Investoren in London oder Frankfurt, für die Piraterie ein Wirtschaftszweig wie andere ist, aus Kriegstraumata und Angst im Gerichtssaal vor Blutrache in der Heimat, Clan-Kämpfen, »minderwerten Stämmen« (Urteilsbegründung), die von der Mehrheit bestenfalls diskriminiert werden. Kahmanns Krimi schildert die aktuellen Hintergründe von Flucht und Vertreibung - in bislang unbekannter Tiefenschärfe.

Was aus den Piraten geworden ist, verrät auch Kahmann nicht. »Die zehn Somalier haben Anspruch auf Schutz vor öffentlicher Neugierde.« Die Heranwachsenden wurden nach dem Urteil auf freien Fuß gelassen. Die Drei beziehen eine Jugendwohnung und sehen Deutschland nun, so sagen sie dem Gericht, als Chance auf ein besseres Leben. Auch für ihre Familien in Somalia.

Jan Kahmann: Jagd auf menschliches Gold - Moderne Piraterie vor Gericht, Kellner-Verlag, Bremen 2016, 470 Seiten, gebunden, 18,90 Euro.

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