Von ManuElla bis Melania
Slowenien: Geschichten um Salz, Grottenolm und starke Frauen
In Slowenien scheint man Lebensart nicht zu verhehlen. Das Gedicht, dem der Text der Nationalhymne entnommen ist, beginnt mit: »Ihr Freunde, hebt die Gläser ...« - eher ein beseelendes Heimat- denn ein knorriges Vaterlandslied. Inmitten der Hauptstadt Ljubljana steht der steinerne Nationaldichter France Prešeren, also ein Denkerdenkmal statt der martialischen Reiterei von Prinz Eugen über Ban Josip Jelačić bis Mark Aurel bei den Nachbarn. Die Landesflagge flattert flott panslawistisch weiß-blau-rot, so wie die im nahen Serbien oder eben auch die im ferneren Russland. Wen das noch nicht neugierig auf Slowenien macht - es gibt da auch starke Frauen, tiefe Geheimnisse, lustige und traurige Geschichten.
Der slowenische Küstenstreifen misst nur 42 Kilometer. Alle anderen Anrainer bis hinunter nach Griechenland haben viel mehr (nimmt man mal den bosnischen Entenschnabel bei Neum aus). Doch dieser buchtigen Adriaküste zwischen Italien und Kroatien entspringt ein sanftes, sehr intensives Labsal für alle Sinne. Üppige Natur, teilweise besonders bewahrt als Reservat oder Landschaftspark, feine Strände, pittoreske mittelalterliche Kleinstädte, Häfen. Natürlich auch Hotels.
In der tanzsaalgroßen 80er-Jahre-Stil-Lobby des »Hotel Delfin« in Izola geht jeden Abend die Post ab. Diesmal startet das Boškarin-Trio mit »Raztrgaj me nežno«, einer nicht mehr so ganz taufrischen Nummer. Doch schon nach wenigen Takten ist die Tanzfläche knüppeldicke voll. Obwohl hier alle, inklusive Trio nebst Sängerin Brigita, auch nicht mehr so ganz taufrisch sind. Mindestens doppelt so alt wie die einheimische Popdiva ManuElla, die den Titel vor ein paar Jahren kreierte. »Nehmt mich mit, aber sanft«, heißt es darin, doch im Saal steppt schon der Bär. »Jeden Abend«, sagt Hoteldirektorin Nina Globow sichtlich zufrieden.
Das »Delfin« ist Sloweniens ältestes Seniorenhotel. Vor 35 Jahren, also in besseren Zeiten, wie Frau Globow betont, in bester, heute vom Seniorenbund nie zu bezahlender Strandlage gebaut, mit Meerwasserpool, Sauna, Fitnessraum. »Wir haben es bis jetzt geschafft, die Preise rentnerfreundlich zu halten«, versichert sie, »daran hat sich seit 35 Jahren nichts geändert.« Was heute anders ist? - »Es wird mehr getanzt als gesungen, und in der Nachsaison zieht übers Wochenende auch schon mal ein Rockerclub ein. Das bringt Umsatz und auch viel Spaß.« Die erste Runde der Boškarins geht über volle 40 Minuten. Doch der Saal ruft nach Zugabe. Und wenn man ins dicke Gästebuch schaut, können einem Tränen der Rührung kommen.
Erst jüngst hat Frau Golob einen großen Kneippgarten anlegen lassen. Kaum zu bremsen, die Dame. Ähnlich Irena Fonda, promovierte Biologin, die die Geschäfte einer Fischfarm in der Bucht von Pirana leitet. Ein Familienunternehmen und ausgewiesener Biobetrieb. »Wir haben es geschafft, den Imagespieß umzudrehen. Wir machen heute sogar extra Werbung damit, dass unsere Wolfsbarsche bei uns gezüchtet wurden.« Unter den vielen Auszeichnungen nennt sie eine als »die branchenintern vielleicht überzeugendste«: Schwarzhändler haben vor einiger Zeit Fonda-Fisch erfolgreich als Frischfang teuerer weiterverkauft ... Ob inzwischen alle Slowenen Fonda-Fisch essen? - »Nein, fast alles geht in den Export. Von heimischen Erlösen allein könnten wir als Firma nicht leben. Hier fehlt die Kaufkraft, denn Slowenien ist wahrlich kein reiches Land.«
Etwas weiter südlich stößt man erneut auf diesen selbstbewussten Frauentyp. Desire Joras, Anfang 30, spricht gut Deutsch. Sie habe es sich, wie sie erzählt, schon in ihrer Schulzeit selbst mit Austria- und Deutsch-TV beigebracht. Dann lernte sie in den Salinen von Sečovlje von der Pike auf, heute ist sie im Management für den Absatz zuständig. »Für den Verkauf von Spitzensalz für Spitzenköche«, zitiert sie lächelnd und nicht ohne Stolz einen Werbespot der Firma.
Seit rund 800 Jahren wir hier Salz gewonnen. Ein nach wie vor hartes Brot. Inzwischen natürlich mit technologischen Neuerungen, aber in der alljährlichen Hochzeit ackern die Saisonkräfte immer noch im Familienverband im Akkord. Und es bleibt zudem ein sehr naturabhängiges Geschäft. »Wenn es im Frühsommer zur unrechten Zeit regnet, sinkt der Salzgehalt rapide, die Produktion kann zwischen 5000 Tonnen und nur der Hälfte pendeln.« Auch deshalb sei es besonders wichtig, die natürliche Umwelt zu erhalten und zu pflegen, betont Frau Joras.
Ein anderes örtliches Problem, eines mit viel Konfliktstoff, rückt dabei fast in den Hintergrund. Südlich des Betriebsgeländes fließt die Dragonja, die den slowenisch-kroatischen Grenzverlauf markiert, in die Adria. Allerdings ist dieser Grenzverlauf bis zu seiner Mündung nach wie vor ungeklärt. Letztlich geht alles nur um ein paar Hundert Meter. Doch was sich wie Haarspalterei anhört, eskalierte einst so, dass sich der EU-Beitritt Kroatiens wegen eines slowenischen Vetos um zwei Jahre verzögerte. Derzeit glimmt die Lunte nicht, aber sie ist nicht ausgetreten.
Auf die Frage, warum sich Frauen in einem eigentlich ja sehr katholischen Land so profilieren können, meint Tina Kopač, die in Koper eine Boutique mit zwei Verkäuferinnen besitzt und betreibt: »Ach, hier bei uns fühlen wir eher venezianisch als katholisch. Entsprechend sind die Kirchen normalerweise ziemlich leer.«
Was alles aber nun nicht heißen soll, dass die Frauen etwa schon ganz Slowenien dominieren. Aktivistinnen wie die Publizistin Alenka Puhar oder auch die feministische Geschichtsprofessorin Marta Verginella weisen immer wieder auf Nachholbedarf hin. Im aktuellen Kabinett von Premier Miro Cerar sind derzeit sechs von 15 Ministerposten mit Frauen besetzt, und alle Frauen, die ich für diese Reportage unlängst interviewte, hatten ihre Jobs von Männern übernommen. Doch beides sagt so viel und so wenig über die Realität aus, wie die Wahrnehmung, dass slowenische Frauen öffentlich deutlich präsenter und souveräner auftreten als in (fast) allen anderen Ländern Südosteuropas.
Wie wohl natürlich die Männer alles andere sind als gotov je, also nicht weg vom Fenster. Primož Knezda weist mich beim Trekking in der grandiosen Postojna-Höhle in die Seilsicherung ein, um runter zum Styx-ähnlichen Canyon zu kommen, und er erläutert, wie sich die Augen der Grottenolme für immer schließen, mitunter 100 Jahre bis zum Olmende. Janez Fajfar ist Bürgermeister von Bled, und er betont, dass sich »in der historischen Bewertung die Waage immer weiter zu Gunsten von Josip Broz Titos Jugoslawien« neige. Željko Vrhovac aus dem Management des Slon-Hotels in Ljubljana macht darauf aufmerksam - ob nur leicht borniert oder aus irgendeinem tieferen Ressentiment sei dahingestellt - dass in seinem Hotel »lieber Englisch als Deutsch« gesprochen werde. Doch die Quellen der Sava, gar nicht weit vom Sprungschanzenparadies Planica in den Julischen Alpen, zeigt mir dann wiederum eine der modernen starken slowenischen Frauen. »Ein Fluss, schier überladen von Legenden und Geschehnissen«, weiß Andreja Knific zu berichten, Ex-Skiartistin, seit fast 20 Jahren erfolgreich als Reiseveranstalterin und Guide unterwegs.
Eine Sava-Episode ist übrigens mit der Kleinstadt Sevnica verbunden, die der Fluss passiert, bevor er sich über Kroatien auf den langen Weg bis ins serbische Belgrad macht, um sich dort majestätisch in die Donau zu ergießen. Dieses Sevnica ist nämlich auch für interessante Frauen bekannt. Als da sind: Kristina Erman, Profikickerin (23), A-Nationalmannschaft; die gute Gospa Ačko (etwa 58), eine Dame, die den Bahnhofskiosk betreibt und mich vor einigen Jahren vor dem Irrtum bewahrte, von dort einfach per Zug über die Grenze ins kroatische Kumrovec fahren zu wollen (»Grenzüberfahrt zu, Jugoslawien ist vorbei«). Und auch Melanija Knavs sollte man in dieser Reihe erwähnen, in Sevnice aufgewachsen, später Model, nun, inzwischen 46-jährig, vor neuer Karriere als Melania Trump.
Infos
Slowenisches Fremdenverkehrsamt in Deutschland: www.slowenia.info
Tourismusämter Adriaküste: www.visit.izola.eu, www.portoroz.si
Tourismusamt Krajska Gora: www.kranjska-gora.si
Literatur:
Reiseführer Slowenien, Klaus Scharneitat, Trescher, Berlin, 2016
Südosteuropa-Handbuch, M. Hatschikjan/S. Troebst, Beck, München, 1999
»Deutsche Lotterie«, Roman, Miha Mazzini, Transit, 2016,
Überleben und Erinnern - Slowenische Häftlinge im Frauen-KZ Ravensbrück, Silvija Kavcic, Metropol, 2007
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