Fast zu erfolgreich
Christoph Ruf über den neuen Bundesliga-Spitzenreiter RB Leipzig und dessen Übererfüllung des Fünfjahresplans
In Leipzig haben sie ein Problem. Gemeint ist jetzt nicht das Imageproblem, das dazu führt, dass sich selbst eingefleischte Bayern-Hasser am Sonnabend dabei ertappt haben, den Münchnern im Bundesligaspiel gegen Dortmund die Daumen zu drücken. Nur um irgendwie doch noch zu verhindern, dass die Fußballer von RB als Tabellenerster aus dem Spieltag herauskommen.
Das Problem ist ein anderes: Das Projekt ist einfach so erfolgreich, dass die eigenen Pläne zu scheitern drohen. Wäre Erfolg planbar - und davon sind sie in Leipzig und in der Red-Bull-Firmenzentrale in Fuschl am See überzeugt -, hätte der sich in dieser Spielzeit noch nicht in voller Pracht präsentiert. Platz sieben wäre eine schöne Sache und ein kleines Ausrufezeichen gewesen. Auch Platz fünf hätte man noch akzeptiert - als nicht mehr zu übersehendes Ausrufezeichen. Und wenn sich dann alle an den erfolgreichen, aber eben nicht übernatürlichen Aufsteiger gewöhnt haben, wird die nächste Stufe gezündet. In zwei, drei Jahren.
Aber Platz eins nach immerhin elf Spielen? Das ist des Guten allein deshalb zu viel, weil schon jetzt, Mitte November, niemand mehr übersehen kann, was RasenBallsport Leipzig im Innersten zusammenhält: Es ist der Wunsch, in möglichst kurzer Zeit dort zu spielen, wo nach Ansicht aller Marketingexperten (und um die geht es doch im Fußball, oder?) Wachstumsraten überhaupt noch zu generieren sind - auf der internationalen Bühne.
Ob RB am Ende Meister wird oder nicht, wird sich erweisen. Wer bei der Prognose bleibt, dass es dazu wohl noch zu früh ist, dürfte letztlich ebenso Recht behalten wie derjenige, der den Leipzigern die Herbstmeisterschaft zutraut. Gegen Freiburg, Schalke, Hertha BSC und Frankfurt muss RB noch ran, zehn Punkte sind da alles andere als utopisch. Selbst wenn der Freiburger Angreifer Florian Niederlechner nach der Niederlage in Mainz für den kommenden Freitag schon mal einen Heimsieg gegen RB in Aussicht gestellt hat.
Dazwischen kommt noch Ingolstadt. Auch das Ex-Team des Leipziger Trainers Ralph Hasenhüttl kann man schlagen - außer Darmstadt hat das bislang ja auch so gut wie jeder geschafft. Und dann wäre da noch das Spiel gegen die Bayern, die gerade den Übergang vom Guardiola- zum Ancelotti-Fußball so holprig vollziehen, wie ein gewisser Lothar Matthäus seine Spielanalysen formuliert. Über dessen Feststellung, dass die Bayern schon mal spritziger und austrainierter gewirkt haben, kann man tatsächlich diskutieren. Auch dann, wenn man bei allem, was Matthäus sagt, immer durchzuhören meint, dass sich da jemand für den besseren Bayern-Trainer hält.
So oder so wird die Winterpause als Rahmen für kontroverse Diskussionen herhalten müssen. Da werden ein paar Millionen Fußballexperten die freudige These vertreten, dass nun endlich, endlich wieder ein wenig Spannung an der Spitze der Liga herrscht, weshalb man RB-Mäzen Dietrich Mateschitz zu Dank verpflichtet sei. Ein paar Millionen andere werden die Gegenthese vertreten und noch einmal die Unterschiede zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern einerseits und der Leipziger Neugründung andererseits herausarbeiten. Und wenn sie mit der Aufzählung fertig sind, ist die Winterpause rum. Ob es zwischen Leverkusen und der Red-Bull-Filiale auch so viele Unterschiede gibt, sei dahingestellt. Dass ausgerechnet Fans der hundertprozentigen Bayer-Tochter den Leipziger Mannschaftsbus mit Farbbeuteln bewarfen, dürfte nicht nur RB-Sportdirektor Ralf Rangnick ein wenig grotesk gefunden haben.
Jaja, die Tradition, viel beschworen von Fans, viel belächelt von denen, die sich bei diesem Thema nie öffentlich zitieren lassen, aber an den Schaltzentralen der Bundesliga fast unisono die These vertreten, dass zu viel Mitsprache und Basisdemokratie den Erfolg eher hemmen. Ob das nun stimmt? Angeblich so rational geführte Vereine wie Hannover 96 haben jedenfalls nicht allzu viel aus ihren Möglichkeiten gemacht. Immerhin belegen die Niedersachsen, die in der vergangenen Saison mit einem Top-Etat als Letzter abgestiegen sind, gerade wieder Platz drei in der Zweiten Liga. Dort, im zunehmend weniger beachteten Unterhaus, sieht man übrigens derzeit sehr plastisch, welche Zeiten für Traditionsvereine geschlagen haben. In der zweiten Tabellenhälfte finden sich der 1. FC Nürnberg, der VfL Bochum, Arminia Bielefeld, der Karlsruher SC, 1860 München und der 1. FC Kaiserslautern - allesamt Vereine, die noch vor ein paar Jahren zum Inventar der ersten Liga gehörten.
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