Montclair will sich nicht abfinden

Auch in der liberalen Kleinstadt in New Jersey gibt es Angst nach Trumps Wahlsieg - und Willen zum Widerstand

  • Max Böhnel, New York
  • Lesedauer: 6 Min.

Samstagnachmittag vor der Leihbibliothek, knapp zwei Wochen nach dem Wahlsieg von Donald Trump. Trotz des kalten Herbstwinds haben sich 400 Frauen und Männer versammelt, darunter viele Eltern mit Kindern. Die Babys in den Kinderwägen sind warm eingepackt. Der über E-Mails auf die Schnelle anberaumte »Montclair March for Community and Connection« zieht los. Es geht auf Bürgersteigen eine halbe Stunde lang zu Fuß zum Edgemont-Park. Autofahrer hupen zustimmend, manche zeigen aus dem Fenster das »Daumen-nach-oben«-Zeichen. Fünf Polizisten sperren die Querstraßen ab, damit der Demonstrationsmarsch geregelt abläuft.

Selbst gemalte Plakate drücken die Ängste vieler Montclairer aus. »No hate, no fear, everyone is welcome here« (Kein Hass, keine Angst, jeder ist hier willkommen) heißt es es auf einem Poster, »Not my fascist clown« (in etwa »Weg mit dem faschistischen Clownsgesicht«) auf einem anderen. Vorneweg läuft eine junge Frau mit dem Wortspiel »Respect existance or expect resistance« (Wer uns nicht respektiert, hat mit Widerstand zu rechnen).

Bei der Ankunft im Edgemont Park ist der Abend angebrochen. Aber die Smartphone-Besitzer leuchten das Geschehen aus. Der Organisator David Singh spricht über die mitgebrachte Lautsprecheranlage: Er habe mit 20, 30 Leuten gerechnet, und nun das - was mit Jubel quittiert wird. Dann gibt er das Mikrofon zur Aussprache frei. Ein zehnjähriges Mädchen sagt, sie habe Angst, dass Trump Menschen abschiebt und einen Krieg anfängt. Eine Frau mittleren Alters betont, man solle »positiv bleiben, unsere Gemeinsamkeiten betonen und die Gegenseite nicht mit Hetze überziehen.« Ein jüdischer Mann mit Hornbrille gelobt, »wenn sie Muslime zwangsregistrieren, dann lass ich mich auch als Muslim registrieren«. Und ein anderer Mann deutscher Abstammung liest auf Englisch das Niemöller-Gedicht »Als sie die Kommunisten holten...« vor und schließt mit »Never again«, niemals wieder.

Montclair ist aufgewühlt. Das Städtchen mit seinen 37 000 Einwohnern hatte vor acht Jahren zu 85 Prozent für Barack Obama votiert und mit noch mehr Stimmen in diesem Jahr für Hillary Clinton. Am Tag nach der Wahl herrschte an der High-School der Ausnahmezustand. Verstörte Lehrerinnen waren nicht in der Lage zu unterrichten. In spontanen Schülerversammlungen brachen Dutzende von 16- und 17-Jährigen in Tränen aus.

Wie an vielen anderen Orten der USA zeigten in Montclair Erwachsene ihren Schock. Der liberale Journalist Jonathan Alter, ein landesweit bekannter Autor der Zeitschrift »Newsweek« und ein Obama-Vertrauter, twitterte: »Amerika befand sich nie zuvor in solch einer Krise.« Mit einem Präsidenten Trump sei die faschistische Gefahr in den USA angekommen. Die neue Bedrohung sei noch schlimmer als im Zweiten Weltkrieg. In weiteren Tweets warnte Alter vor der »Normalisierung« des Trump-Regimes durch Kollegen in den Massenmedien. Seine Hoffnung: Das Wahlmännergremium, das sich am 19. Dezember zur Bestätigung des Urnengangs trifft, möge sich der Gefahr bewusst sein und Trump den Erfolg per Akklamation aberkennen.

Ortswechsel zur Rekonstruktionisten-Synagoge. »Reconstructionists« - das ist eine kleine Minderheit in der Minderheit der schillernden jüdischen Gemeinden der USA. Das Judentum ist ihrer Auffassung nach nicht nur eine Religion mit Riten, sondern eine Zivilisation, die alle Lebensbereiche umfasst, Musik, Land, Sprache, Geschichte, Kunst. Es handelt sich um die fortschrittlichste Synagogengemeinschaft der USA. Sie etablierte als erste eine Liturgie, die Frauen die volle Gleichberechtigung einräumt. Im Hauptgebäude warten Eltern am Montagabend auf ihre Kinder, die gleich aus dem Unterricht kommen. Haupt-, ja einziges Thema sind Trump und sein Chefberater, der rechtsradikale Steve Bannon. Das Dutzend Väter und Mütter im Kreis ist einer Meinung: Der neue Präsident ist eine Katastrophe, Widerstand unabdingbar. Die Mittvierzigerin Sarah Sussman sagt, sie schlafe seit zwei Wochen nicht mehr richtig. Albträume - »zum Beispiel dass Trump neben mir im selben Bett schläft und mich plötzlich begrapscht« - würden sie quälen.

Der weißhaarige Amichai Levy - seine Eltern hatten die Nazis dank des »Kindertransports« nach England überlebt - winkt ab, als der Vergleich mit der Reagan-Ära der 1980er Jahre fällt: »Das war damals eine rechtskonservative Regierung mit einer mörderischen Außenpolitik, aber heute bevölkern Neonazis Trumps Hirn.« Levy erinnert an ein Video der rechtsextremen »Alt-right«-Versammlung in Washington vor wenigen Tagen, in der mehrfach der Hitlergruß gezeigt und von der Wiederauferstehung des weißen Amerikas fantasiert wurde.

Als die Rede auf die »Zionist Organization of America« kommt, die Bannon in Manhattan zu einer Galaveranstaltung eingeladen hatte, ertönt aus den Kehlen der Reconstructionists ein Zischen. Die ZOA sei seit Jahren ein »Haufen Irrer«, sagt eine Frau, und alle nicken. Der junge bärtige Rabbiner Elliot Tepperman wirft ein, dass die Organisation »den alten Fehler begeht, den Juden aus einem instinktiven Überlebenstrieb manchmal machten - sich den Herrschenden anzudienen, um dann vielleicht doch verschont zu werden«.

»Bullshit«, sagt ein junger Mann, »das sind Rechtsaußenzionisten und sie fallen auf die angebliche Pro-Israel-Haltung der Faschisten rein.« Drei Viertel der US-amerikanischen Juden haben für Clinton gestimmt. Aber für das verbliebene Viertel - in der Mehrzahl orthodoxe Juden - war vermutlich die freundschaftliche Haltung Trumps zur israelischen Rechtsregierung ausschlaggebend. »Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus, dafür geben sie uns den Faschisten preis«, meint eine Mutter.

Die athletische Mittsechzigerin Renee Baskerville ist seit vielen Jahren Stadträtin von Montclair. Die Afroamerikanerin vertritt den Bezirk 4 des Ortes. Am wichtigsten ist für sie das friedliche Zusammenleben »von Weißen, Schwarzen und Juden«. Da Montclair in den 1960er Jahren einer der ersten Orte der USA war, an denen die gesetzliche Rassendiskriminierung aktiv aufgehoben wurde, konnte sich hier eine afroamerikanische Mittelschicht entwickeln, mit Geschäftsleuten und einer fortschrittlichen Wohnungspolitik. Schwarze, die seit Jahren ein Drittel der ortsansässigen Bevölkerung ausmachen, und Weiße leben gleichberechtigt, oft in derselben Straße, als Nachbarn miteinander. In den finanziell gut ausgestatteten Schulen spielt die Hautfarbe keine Rolle.

Das liberale Klima der Stadt speist sich freilich aus dem relativ großen Wohlstand, der ihrer Nähe zu Manhattan und den gut bezahlten Arbeitsplätzen dort zu verdanken ist. Die Wall Street und die Dienstleistungsunternehmen sind eine bequeme Dreiviertelstunde per Bus oder Zug von der Vorstadt entfernt. Seit der Wahl Trumps habe aber selbst diese Idylle »einige Dellen« erhalten, räumt Baskerville ein.

War der Pickup-Truck, der am Tag nach der Wahl mit riesigen Trump-Fahnen mehrmals mit heulendem Motor die Hauptstraße auf und ab fuhr, noch eine Kuriosität, so ereigneten sich danach mehrere verstörende Zwischenfälle. Auf der Facebook-Seite der örtlichen Polizeigewerkschaft war das Bild eines fröhlichen weißen Polizisten zu sehen. Darüber stand: Trump hat gewonnen. Endlich können wir wieder Cops sein. Und eine Wandmalerei von Kindern mit einem Herzen und dem abgewandelten Trump-Motto »Make America love again« wurde mehrmals mit den Umrissen des Trump-Kopfes beschmiert. Darunter stand »Get over it« (Findet euch damit ab).

Eine Bewohnerin erspähte vor wenigen Tagen die Vandalen und rief die Polizei. Es handelte sich um ein altes weißes Ehepaar. Beide werden wegen Sachbeschädigung vor dem örtlichen Richter erscheinen müssen. Die Polizeigewerkschaft wiederum behauptete zuerst, die Facebook-Seite sei von unbekannten Hackern verunstaltet worden. Aber inzwischen hat sich eine von der Stadt beauftragte Untersuchungskommission darangemacht, die Wahrheit herauszufinden.

Sowohl für Rabbiner Tepperman wie für Stadträtin Baskerville ist jedenfalls klar: Der Ära Trump kann Montclair nicht mit »business as usual« begegnen. Die kleine örtliche »Black Lives Matter«-Gruppierung und eine Gruppe junger Aktivisten aus der Rekonstruktionisten-Synagoge werden sich kommende Woche zu einem ersten Treffen zusammenfinden. Im Gespräch ist zudem, Montclair per Stadtratresolution zu einer »sicheren Stadt« für undokumentierte Einwanderer zu erklären.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.