Wie aus einem Gruselfilm

Das Château Miranda in den belgischen Ardennen: 
eine bewegte Geschichte, die nun zu Ende ist.

  • Janina Funke
  • Lesedauer: 4 Min.

Feuerwerke, Festschriften, Jubiläumsfeiern: Zum 150. Geburtstag eines prachtvollen Gebäudes mit bewegter Geschichte ist vieles denkbar - der Abriss desselben gehört dabei vermutlich nicht zu den gemeinhin favorisierten Varianten.

Genau das jedoch widerfährt gerade dem neogotischen Château Miranda, knapp 20 Fahrtminuten entfernt vom hübschen Dinant an der Maaß, der belgischen Stadt mit imposanter Felsenfestung. Seit etwa drei Wochen tragen Abrissunternehmen mit großen Kränen die vielen verspielten Türme des Prunkbaus aus der Zeichenfeder des englischen Architekten Edward Milner ab, Stück für Stück löst sich Miranda oder Noisy, so der zweiter Name, auf.

Dabei war das Château, die würdige, alte Dame, lange Zeit für viele Menschen präsent: Einst Sommerresidenz der gräflichen Familie Liedekerke-Beaufort, die noch heute, nur 800 Meter Luftlinie entfernt, das noch deutlich ältere Schloss Vêves bewohnt, war Miranda nach Kriegsbesetzung durch die Deutschen ein Ferienwohnheim für die Kinder der Nationalen Gesellschaft der Belgischen Eisenbahnen. Für Jahrzehnte. So lange, bis dieser das Ganze zu teuer wurde. Von 1978 bis 1991 dann nutzte der damalige Graf Liederke-Beaufort das Schloss weiterhin als Ferienwohnheim für Kinder. Eine Stiftung war gegründet worden, um Kindern unvergessliche Sommer in prachtvollen Räumlichkeiten mit blau-roten Gewölbedecken und riesiger Gartenanlage zu ermöglichen.

Dann aber kam das Aus: Das Wohnheim wurde zu teuer, andere Nutzungskonzepte fanden sich nicht. Und deshalb stand das Schloss, das aussieht wie die Stein gewordene Kulisse eines opulenten Tim Burton-Films, seitdem leer. 25 Jahre dauert diese letzte Phase inzwischen auch schon an - und der Verfall nahm seitdem seinen unaufhaltsamen Lauf: Es gab Brände, Vandalen kamen und klauten das, was der Graf nicht schon selbst an Wertgegenständen demontieren ließ.

In den vergangenen Jahren war Miranda zum Mekka der Urban-Exploration-Szene geworden: Fototouristen kamen aus aller Welt, um spektakuläre Bilder des vergehenden Anwesens zu schießen - von der alten Brücke, die den Auftakt eines etwa einen Kilometer langen Waldzugangs markierte, von den Türmen und gewundenen Treppen an der Fassade, von der alten Küche im Keller oder dem atemberaubenden Blick über die Wälder von Celles, der sich hoch oben vom 56 Meter hohen Glockenturm ergab, auf den sich manche trotz zunehmend morscher Balken und kaum noch begehbarer Treppenstufen trauten. Die Youtube-Videos dieser kühnen Ausflüge lassen dem Betrachter den Atem stocken - und wohl auch dem Grafen, dem ganz augenscheinlich das Risiko des maroden und an vielen Stellen inzwischen einsturzgefährdeten Schlosses zu groß wurde.

Warum hat der Besitzer nicht in den Schutz des Gebäudes, in die Sicherung des Areals gesetzt, warum musste es soweit kommen, dass der Abriss die letzte Option ist? Die Motive des 61-jährigen Grafen Hadelin de Liedekerke-Beaufort, Direktor bei der privaten »Santander telecomunications«, sind schwer nachzuvollziehen und bisher hat sich de Liedekerke-Beaufort auch nur einmal öffentlich gegenüber dem belgischen TV-Sender »Matélé« geäußert (www.matele.be/le-proprietaire-du-chateau-de-noisy-sort-du-silence). Fakt allerdings ist, dass die Gemeinde Houyet das Schloss kaufen wollte. Liederke-Beaufort lehnte ab, woraufhin Miranda ihren Denkmalschutz verlor - und somit die Möglichkeit des Abrisses auf dem Tisch war.

Die Bedrohung des Wahrzeichens der Region, das in Wirklichkeit eben keines war, wurde zunehmend real, und es setzte bürgerschaftliches Engagement ein: Der Verein »L›ASBL ARESNO«, die »association pour la restauration et la sauvegarde de Noisy« (Verein zur Restauration und Schutz von Noisy) wurde gegründet. Alain Maes ist ARESNO-Präsident und einer derjenigen, der sich seit vielen Jahren für das Château engagiert hat, er ist zudem einer der Administratoren einer Facebook-Gruppe »Sauvegarde du chateau Noisy« mit knapp 1600 Mitgliedern, die jedoch in Kürze mit einigen anderen Gruppen zum Thema zusammengelegt werden soll. Seit einigen Jahren schon werden hier Fotos und Geschichten mit anderen Schlossbegeisterten geteilt, aktuelle wie historische aus Zeiten, da das Schloss ein Ort für die Kinder war. Immer wieder haben Maes und seine Mitstreiter nach Wegen für eine Rettung des Schlosses gesucht, Crowd᠆funding-Konzepte oder Hilfen aus dem Ausland erwogen. Und dennoch: »Der Dialog gestaltete sich ex᠆trem schwierig«, erklärt Maes in einem langen Facebook-Eintrag.

Vor einigen Wochen schließlich kam Hektik in das Wirken dieser Gruppe - es ging etwas vor rund um die Schlossanlage, und das verhieß nichts Gutes. Miranda wurde weiträumig mit Stacheldraht gesichert, die gusseisernen Eingangstore, die sonst für jeden offenstanden, waren nunmehr kaum noch überwindbar. Kameras wurden installiert - und schweres Baugerät herbeigeschafft. Es gab eine letzte Demo Anfang November, zu der sich viele Menschen vor dem Château versammelten und gegen den Abriss demonstrierten. Doch zu spät.

Wagemutige Fotografen, die Schleichwege um die Absperrungen herum kennen, posten nunmehr Tag für Tag in den sozialen Medien neue Bilder über das Fortschreiten von Mirandas Ende. Erst die Türme, dann eine kleine Pause - und wer weiß: wenn bald womöglich tatsächlich Abrissbirnen die alten Mauern einreißen, werden so manche Herzen bluten. »Noisy wird auf immer in Euren Fotos leben«, heißt das Motto der Facebook-Gruppe »Sauvegarde du chateau Noisy«. Und in der Tat werden die bald das Einzige sein, das von Miranda übrig bleibt.

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