...nur einen Steinwurf entfernt

Trump am Hamburger Szeneviertel

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Hamburg. Die »Schanze« und das benachbarte Karo-Viertel in Hamburg kennen viele vor allem aus den Nachrichten über gewalttätige Auseinandersetzungen zum 1. Mai. Auch sonst gibt es manche Parallelen zum Berliner Stadtteil Kreuzberg: Eine starke linke Szene, beliebtes Viertel der Alternativen, hoher Ausländeranteil. Dennoch sollen sich in den Hamburger Messehallen, direkt vor der Nase der Linken, bald die Mächtigen dieser Welt versammeln, darunter 2017 die Präsidenten Donald Trump, Recep Tayyip Erdogan, Xi Jinping und Wladimir Putin.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte ihre Geburtsstadt gebeten, Gastgeber der Konferenzen zu sein. Geplant ist zunächst am 8. und 9. Dezember der OSZE-Ministerrat. Das Treffen der Außenminister von 57 Mitgliedsstaaten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa wird von manchen als Generalprobe gesehen. Vor allem Polizei und Demonstranten machen sich bereit. Denn am 7. und 8. Juli 2017 sollen sich an gleicher Stelle die Mächtigen zum G20-Gipfel der führenden Industrie- und Schwellenländer versammeln. Dazu werden 6000 Delegierte, 3000 Medienvertreter sowie Tausende Sicherheitsbeamte erwartet.

Die nahegelegene Sternschanze und das Karolinenviertel mauserte sich dabei seit ein paar Jahrzehnten vom eher heruntergekommen Quartier zum angesagten Szenevierteln mit zahllosen Kneipen, Restaurants, kleinen Läden und schicken Boutiquen. Und am Wochenende jede Menge Touristen, sagt Henning Breuer leicht genervt. Breuer wohnt hier seit 13 Jahren und ist Mitglied des Stadtteilbeirats.
Laut Statistikamt hat die Schanze knapp 8000 Einwohner auf gerade mal 0,6 Quadratkilometer. Gut 20 Prozent sind Ausländer, mehr als jeder zweite unter 18 Jahren hat ausländische Wurzeln. Bei der Bürgerschaftswahl 2015 hat die CDU hier 2,9 Prozent bekommen, Linke (29,1) und Grüne (27) landeten noch vor der SPD (26,6).

Seit einigen Jahren sind Krawalle in der Walpurgisnacht zum 1. Mai im Schanzenviertel fast so traditionell wie in Berlin, mal stärker, mal schwächer. Nach Ansicht der CDU ist die Rote Flora Zentrum und Quelle von Gewalt und Anarchie im Viertel.

Kietzaktivist Breuer widerspricht. Die Rote Flora in den Resten eines seit 1989 besetzten Theaters sei zwar weit über Hamburg hinaus ein Symbol der linken Szene. »Die Flora-Leute sind aber inzwischen eher gemäßigt.« Vor einigen Wochen gab es eine Vollversammlung des links-autonomen Stadtteilzentrums. Von revolutionärer Aufbruchstimmung war wenig zu spüren, berichten Teilnehmer.

Im Viertel selbst graut es vielen vor den Konferenzen. Ladenbesitzer befürchten Einnahmeverluste. Mehrere Kitas machen an diesen Tagen zu. Die Ganztagsgrundschule Sternschanze mit 550 Schülern wollte es den Eltern freistellen, ob sie ihre Kinder zur Schule schicken - bis die Schulbehörde Einspruch erhob.

Die Elternratsvorsitzende Sandra Cantzler hat an Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) geschrieben: »In den Familien unserer Schulkinder herrscht große Sorge vor den Auswirkungen dieses Gipfels.« Die meisten Eltern würden größtes Unverständnis äußern, die Konferenzen »mitten in unserem eng besiedelten Stadtteil zu veranstalten«. »Wir haben hier im Viertel Erfahrung«, versichert Cantzler. »Das kracht schneller als gedacht. Und meine siebenjährige Tochter findet Wasserwerfer ganz schrecklich.«

»Aktuell nehmen wir keine militante Kampagne in Hamburg bzw. bundesweit im Zusammenhang mit dem OSZE-Ministerratstreffen wahr«, beschwichtigt Polizeisprecher Timo Zill. »Nach jetziger Planung werden etwa 10 500 Beamte im Einsatz sein.«

»Das ist hier schon eine linke Ecke«, sagt Breuer beim Gang durch die Straßen und Hinterhöfe. »Aber hier beschließen die Leute nicht: Hey, jetzt machen wir mal ›ne Straßenschlacht.« Am 1. Mai würden die Bewohner entweder wegfahren oder in der Wohnung bleiben. »Die Akteure sind andere, die reisen an. Wir werden als Bühne für etwas benutzt, was hier keiner will.«

In einem Punkt sind sich aber alle einig, von der Polizei bis zu den Globalisierungskritikern: G20 wird eine ganz andere Nummer als OSZE. Das Bündnis gegen den G20-Gipfel erwartet im Juli Zehntausende Unterstützer in Hamburg. Wer sich Trump, Erdogan, Xi Jinping und Putin »in seine Stadt einlädt, hat sich selbstverständlich auch den internationalen Widerstand (...) eingeladen«, sagt ein Attac-Sprecher. Breuer ist besorgt. »Die Abende könnten hier ziemlich feucht und blau werden«, sagt er und spielt damit auf reichlich Wasserwerfer und Polizeiuniformen an.

Einen kleinen Vorgeschmack auf die bevorstehende Unmutskundgabe gab es am vergangenen Wochenende: Anderthalb Wochen vor dem Treffen der OSZE-Außenminister in den Messehallen setzten Unbekannte mehrere Müllcontainer, Reifen und ein Motorrad vor dem Eingang in Brand. Dabei wurde auch die Glasfront des Eingangs beschädigt. Eine linksradikale Gruppe hatte sich später im Internet zu dem Anschlag bekannt. dpa/nd

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