Dürfen sich Banken weiter schönrechnen?
Globales Treffen der Regulierer in Santiago: Neue Kapitalregeln sollen einen Finanz-GAU verhindern
Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), eine Art Zen-tralbank der Zentralbanken mit Sitz in Basel, erinnerte dieser Tage an einen Crash, der bereits etwas länger zurückliegt. Im Jahr 1994 beendete die US-amerikanische Notenbank Fed ihre ultralockere Geldpolitik von einem Tag auf den anderen. In der Folge brach der US-Wertpapiermarkt zusammen. Mit weltweiten Folgen.
Ein solcher Crash könnte sich bald wiederholen. Seit der Weltfinanzkrise haben die großen Zentralbanken ihre Leitzinsen nahezu auf Null heruntergefahren. Ein früher oder später kommender Kurswechsel wird erhebliche Auswirkungen haben. Vor allem auf Notenbanken, die zu lange auf die Nullzinspolitik vertrauen. »Was die Zentralbank gibt, kann sie auch wieder nehmen«, warnte BIZ-Generaldirektor Jaime Caruana kürzlich.
Wie gefährlich die Lage wirklich ist, weiß niemand. Bankenstresstests fielen bislang eher glimpflich aus. Andererseits gelten beispielsweise drei Viertel der Geschäfte der Deutschen Bank nach dem bisher geltenden internationalen Aufsichtsregelwerk »Basel III« als risikolos. Ein abrupter Richtungswechsel in der Geldpolitik könnte davon einen Teil ins Feuer schicken. Die Bank mag darauf vorbereitet sein oder auch nicht, regulatorisch betritt man hier immer noch Niemandsland.
Ein weiterer Gefahrenherd lauert in den Bilanzen: Mehr als 60 Prozent der ausstehenden Derivate - hochspekulative Wertpapiere - werden über eine »Zentrale Gegenpartei« verrechnet, insgesamt geht es laut BIZ nominal um 320 Billionen Euro. Sollte eine Gegenpartei, also eine »systemrelevante« Großbank, umfallen, dann könnte eine Kernschmelze beginnen.
Um dem GAU zuvorzukommen, arbeiten Spitzenvertreter von Notenbanken und Regierungen in der BIZ, genauer gesagt dem Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, seit Jahren an einem besseren Regelwerk. Schon bevor Donald Trump die politische Weltbühne betrat, entbrannte darüber ein heftiger Streit zwischen Europa und Amerika.
Das liegt auch an der unterschiedlichen Lage in den Bankensystemen: Die USA hatten mit dem Dodd-Frank-Act ihre Banken für die Finanzkrise hart abgestraft und erheblich mit schärferen Regeln eingehegt. Inzwischen strotzen die US-Großbanken wieder vor Gewinnen und haben Europas Geldgiganten abgehängt. US-Präsident Barack Obama fordert daher erheblich strengere, global standardisierte Regeln. Viele EU-Banken haben dagegen nach wie vor große Probleme. Die Berater von Ernst & Young schätzen die Lücken beim Eigenkapital auf bis zu 300 Milliarden Euro. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der deutsche Privatbankenverband BdB und EU-Verbände wünschen sich daher flexible Regeln und wollen das bisherige Modell nur fortschreiben. »Basel IV« solle weiterhin erlauben, dass sich Banken mit internen Risikomodellen schönrechnen können. Andernfalls, so drohen die Banken, würden weniger Kredite vergeben werden. Allein für die 17 größten deutschen Institute könnte ein zusätzlicher Eigenkapitalbedarf von 78 Milliarden Euro entstehen, wie aus der Branche verlautete.
Ein anderer Streitpunkt ist die Vergleichbarkeit. Erhält der Kredit im boomenden Kalifornien die gleiche Risikostufe wie der in der strukturschwachen Lausitz? Auch spielt in den USA die Börse eine größere Rolle bei der Kapitalbeschaffung von Unternehmen, und Risiken aus der Baufinanzierung übernimmt der Staat.
Bis in den Mittwoch hinein suchte der BIZ-Ausschuss für Bankenaufsicht bei einem Treffen in Santiago de Chile nach einem Kompromiss. Und fand ihn: Die Regeln werden straffer, aber einzelne Banken behalten einen, wenngleich künftig kleineren, Bewertungsspielraum. In undiplomatischer Deutlichkeit warnte Ausschussvorsitzender Stefan Ingves, Chef der schwedischen Notenbank, dennoch vor ungeregelten Risiken etwa von Derivaten. »Ein Wort ist eine Seite der Stille«, zitierte er zum Schluss den chilenischen Dichter Pablo Neruda.
Verabschiedet werden soll der Kompromiss im Januar auf einem Gipfeltreffen der BIZ. Ob sich der kommende US-Präsident Donald Trump - der sich im Wahlkampf als Wall-Street-Unterstützer und Deregulierer profilierte - an die Zusagen der Obama-Fachleute in Chile halten wird, bleibt abzuwarten.
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