Alle wollen sich vertreten sehen
Der nun entschiedene Streit um die Spitzenkandidatur der LINKEN zeigt auch den Einfluss der Strömungen in der Partei
Nach langen internen Debatten hat sich die Führung der LINKEN bei der Frage, wer die Partei in den Bundestagswahlkampf 2017 führen wird, an diesem Wochenende in Berlin auf einen Kompromiss verständigt. Die Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht werden im Sommer kommenden Jahres bei der Kampagne als Spitzenkandidaten eine herausgehobene Rolle spielen. Das verkündeten Katja Kipping und Bernd Riexinger. Sie werden als Parteivorsitzende mit Bartsch und Wagenknecht zudem offiziell ein Viererteam bilden.
Die Auswahl der Spitzenkandidaten war in der Linkspartei nie einfach. Zwar ging es bislang nicht um die Kanzlerschaft oder die Aussicht auf einen Ministerposten, aber die verschiedenen Strömungen, Regionen und Geschlechter wollten sich repräsentiert sehen. Deswegen wurden zuweilen Teams aufgestellt. Diesem gehörten vor der Bundestagswahl 2013 acht Personen an. Im Fokus des Wahlkampfs stand allerdings allein schon wegen seiner großen Medienpräsenz der damalige Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi.
Teil des Spitzenteams waren damals bereits Gysis spätere Nachfolger Bartsch und Wagenknecht. Als die beiden im Herbst vergangenen Jahres dann gemeinsam die Fraktionsspitze übernahmen, mutmaßten viele Medien, dass sie sich eher bekriegen als gemeinsam arbeiten würden. Diese Prognose hat sich bislang nicht bestätigt. Denn die Wahl der beiden Fraktionsvorsitzenden resultierte aus einem Kompromiss von unterschiedlichen Strömungen. Dieser funktioniert weitgehend bis heute. Dass es ruhiger geworden ist in der Fraktion und die Partei sich in den bundesweiten Umfragen zwischen neun und elf Prozent stabilisiert hat, führen Bartsch und Wagenknecht auf ihre Arbeit zurück. Deswegen haben die Fraktionsvorsitzenden schon vor einigen Wochen darauf gepocht, nur als Spitzenkandidatenduo antreten zu wollen.
Bartsch ist Mitglied der Strömung Forum Demokratischer Sozialismus (FDS), die sich selber als reformorientiert bezeichnet und gegenüber Regierungsbeteiligungen als aufgeschlossen gilt. Prominente Mitglieder des FDS sind etwa Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau und der Berliner Außenpolitiker Stefan Liebich. Bartsch hat insbesondere zu den Führungen aller ostdeutschen Landesverbände beste Beziehungen.
Wagenknecht war hingegen eine Erstunterzeichnerin für den Aufruf zur Gründung der Antikapitalistischen Linken (AKL), die unter anderem bei ihrer Ablehnung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr als kompromisslos gilt. Diese Linie wird von Wagenknecht weiterhin vertreten. Trotzdem war in der Führung der AKL zuletzt auch Kritik an ihr laut geworden. Anlass hierfür waren Wagenknechts Äußerungen in der Flüchtlingspolitik, etwa zum »Gastrecht« von Asylbewerbern und zu den Debatten um Schutz vor Anschlägen und Attentaten. Zu den Kritikern der Fraktionschefin zählten etwa die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke sowie das LINKE-Vorstandsmitglied Thies Gleiss. Von Vertretern der AKL im Parteivorstand war zudem zu hören, dass sie es für überflüssig hielten, dass eine Partei von der Größe der LINKEN mit Spitzenkandidaten in den Wahlkampf zieht. Im Vorstand war diese Forderung allerdings ebenso wenig durchsetzbar wie der aus unterschiedlichen Strömungen geforderte Mitgliederentscheid über die Spitzenkandidatur.
Prominenteste Verteidigerin Wagenknechts war im AKL-Umfeld hingegen die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen. Beide gehören dem nordrhein-westfälischen Landesverband an, in dem Wagenknecht viel Rückhalt hat. Zudem kann sie auf einige Parlamentarier zählen, die in der Strömung Sozialistische Linke (SL) organisiert sind oder sich in deren Umfeld bewegen. Die SL gilt vor allem als westdeutsch, gewerkschaftsnah und globalisierungskritisch.
Kipping und Riexinger sehen sich durch die Entscheidung über das Spitzenkandidatenduo nicht geschwächt. Die Entscheidung über mögliche Sondierungen nach der Wahl sehen sie hauptsächlich bei der Partei. Im Wahlkampf wird Riexinger als früherer Funktionär bei ver.di vor allem Gewerkschafter ansprechen. Er will sich nun erstmals um ein Bundestagsmandat bewerben.
Mit Kipping dürften vor allem jüngere Wähler der LINKEN sympathisieren. Zudem vertritt sie ein Lager, das »Mittelerde« genannt wird und in der engeren Parteispitze stärker vertreten ist als in der Fraktion. Die »Mittelerde« sieht sich in ihren Positionen zwischen der SL und AKL sowie dem FDS. Zu den Mitgliedern der »Mittelerde« zählen etwa Vertreter der Strömung Emanzipatorische Linke um Fraktionsvize Caren Lay, die gesellschaftsliberale und radikaldemokratische Standpunkte vertritt. Die »Mittelerde« hat sich in den vergangenen Jahren um engere Kontakte zur SPD und den Grünen bemüht, zum Beispiel in der Denkfabrik Institut Solidarische Moderne.
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