Wechselwirkungen besser vermeiden

Barmer GEK-Projekt in Westfalen-Lippe soll Risiken der Polypharmazie bändigen

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

18,6 Millionen Menschen in Deutschland nehmen regelmäßig mindestens fünf Medikamente ein. Das nennt man Polypharmazie und die verursacht mitunter Probleme, vor allem dann, wenn keiner der verschreibenden Ärzte den Überblick hat und schädliche Wechselwirkungen nicht ausgeschlossen wurden. Bei 48 000 Arzneimitteln auf dem deutschen Markt ist diese Aufgabe nicht trivial. Hinzu kommen Patienten, die oft selbst nicht wissen, was genau sie warum einnehmen sollen. So können 30 Prozent der Patienten mit acht und mehr Arzneimitteln nicht vollständig angeben, welche Präparate sie nehmen. Die fehlende Gesamtsicht soll jetzt systematisch in einem Projekt der Barmer GEK mit den Kassenärzten in Westfalen-Lippe erarbeitet werden. Die Akteure versprechen sich davon eine Medikamentenversorgung, die effizienter und sicherer wird. Auch ein Kostenvorteil ist absehbar, denn bei besser angepassten Dosierungen und Verschreibungen ließen sich nach ersten Erfahrungen bis zu 20 Prozent der Kosten einsparen. Bewährt sich das Verfahren und wird zur Regel, könnte die Gesetzliche Krankenversicherung hier insgesamt 2,75 Milliarden Euro weniger ausgeben.

Doch zunächst wird Geld ausgegeben. 16 Millionen Euro Starthilfe gibt es für AdaM. Die Abkürzung steht für »Anwendung für digital unterstütztes Arzneimitteltherapie- und Versorgungsmanagement«. Der genannte Betrag kommt aus dem Innovationsfonds, der von 2016 bis 2019 mit jährlich 300 Millionen Euro ausgestattet wird und sektorenübergreifende Versorgungsformen sowie die Versorgungsforschung stärken soll. Träger des Fonds ist der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) von Ärzten, Krankenhäusern und Gesetzlichen Krankenkassen.

In Westfalen-Lippe werden 1400 Hausärzte an dem Projekt mitwirken, 35 000 Patienten sollen gewonnen werden. Geben diese ihre Zustimmung, erhalten die Hausärzte die bei der BARMER GEK vorliegenden Daten über deren Gesamtmedikation, und zwar mit allen behandlungsrelevanten medizinischen Informationen. Dazu gehören neben der Dosis zum Beispiel die Dauer der Verschreibung oder ständig aktualisierte Hinweise etwa zu Themen der Arzneimittelsicherheit und möglichen Wechselwirkungen.

Eingearbeitet ist auch die sogenannte Priscus-Liste. Sie umfasst Medikamente, die alte Menschen gefährden können. Enthalten sind für die einzelnen Versicherten auch Arzneimittel, die sie in Krankenhäusern bekamen. Die Ärzte ergänzen das mit den Angaben aus der Selbstmedikation. Ein Verzeichnis lässt außerdem zu, Nahrungsergänzungsmittel wie Vitamine mit zu bewerten. Der gesamte individuelle Medikationsplan wird für die Patienten ausgedruckt. Er baut auf dem seit Oktober für gesetzlich Versicherte abrechenbaren Plan auf, geht aber darüber hinaus. Entsprechend wird der Aufwand innerhalb von AdaM pro Jahr und Patient mit 80 Euro vergütet. Sollte eine Beratung und Absprache mit anderen Ärzten nötig sein, kommen noch einmal 40 Euro dazu.

Zu den ärztlichen Aufgaben gehört nicht nur die Feststellung eines vorgefundenen Status, sondern auch dessen Anpassung, die Durchführung von Kontrolluntersuchungen etwa bestimmter Laborwerte und auch, unter mehreren Therapiezielen Prioritäten zu setzen. Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet und soll Ende September 2019 abgeschlossen sein. Erweist es sich als nützlich, soll es in die Regelversorgung übergeleitet werden und stünde dann allen gesetzlich Versicherten offen. Dafür wäre dann wieder der G-BA zuständig. Auf Dauer finanzieren ließe sich die bessere Überwachung der Polypharmazie nach Auffassung der Barmer GEK sicher aus den absehbaren Einsparungen bei Arzneimitteln.

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