Ein Leben nach dem Kapitalparadies
Alberto Acosta erklärt, warum gerade Finanzspekulationen eine Gefahr für die Umwelt bedeuten
Das Bewusstsein der Menschheit für die Umweltprobleme wird immer stärker. Es gibt täglich neue Nachrichten über technische Neuerungen, die manchmal wie Science Fiction klingen. Und das ist gut so. Heute wie nie sind wir gezwungen, unsere Schaffenskraft zu Höchstleistungen anzuspornen, um den verheerenden Folgen, die der Klimawandel mit sich bringt, etwas entgegenzustellen.
Ohne an dieser Stelle den Beitrag von Wissenschaft und Technik schmälern zu wollen, muss klar sein, dass solche Antworten nur unzureichende Maßnahmen darstellen, solange keine strukturellen Lösungen zur Bekämpfung des Klimawandels gesucht werden, um die Probleme an der Wurzel zu packen. Leider geschieht dies bis heute nicht. An die Macht der Technik klammernd - und auch an den Forderungen der Kapitalakkumulation - versuchen die Räume der Macht einen Ausweg zu finden, indem sie denselben Weg weitergehen. Angestrebt wird ein »grüner Kapitalismus«, der nicht nur dasselbe vom Gleichen vereint, sondern noch mehr vom Schlimmsten mit sich bringt: Die wachsende Vermarktlichung der Natur. Und die geht Hand in Hand mit der wachsenden Ausbeutung des Menschen.
Im Zusammenhang mit diesen Fragen gilt es, unsere Aufmerksamkeit auf ein entscheidendes Thema zu lenken: die Folgen der Finanzspekulation auf Realwirtschaft und Natur. Vor allem über die Spekulation stellt der internationale Finanzmarkt den Motor einer unerbittlichen Beschleunigung aller Wirtschaftsströme dar, etwa über die Verstärkung des Ressourcen-Extraktivismus. Diese Geschwindigkeit geht über das Reaktionsvermögen der produktiven Einrichtungen hinaus, ganz zu schweigen von den Widerstandskräften und Belastungsgrenzen der Erde.
Das komplexe Verhältnis von Produktion und Spekulation in der kapitalistischen Welt ist seit vielen Jahren bekannt. 1834 brachte es der englische Bankier James William Gilbart in seinem Buch »Geschichte und die Prinzipien des Bankwesens« auf den Punkt: »Alles, was die Unternehmung befördert, befördert auch die Spekulation, beide Fälle sind so eng miteinander verwoben, dass es schwierig ist zu bestimmen, wo die Unternehmung zu Ende ist und die Spekulation beginnt.« Unter anderem diese Schlussfolgerungen waren es, die es Karl Marx ermöglichten, seine tiefgreifenden Gedanken über den Kredit und das fiktive Kapital zu entwickeln.
Der enge Zusammenhang zwischen Unternehmung und Spekulation bestätigt die Tatsache, dass Kapital sowohl durch Produktion als auch Spekulation akkumuliert wird, sogar indem es das Produzierte zerstört, wobei das eine perverser erscheint als das andere. Die Trennung zwischen der produktiven und spekulativen Sphäre wird dabei immer größer, eine Tendenz mit einer langen Geschichte. Für die letzten 200 Jahre zeigt der anerkannte französische Ökonom Thomas Piketty diesen Trend durch zwei Zahlen auf. Während die Produktivwirtschaft jährlich um zwei Prozent gewachsen ist, konnte die Finanzwirtschaft, gemessen über den Kapitalzinssatz, einen Jahresanstieg von 4,5 Prozent verzeichnen. Dies erklärt auch, warum der Wert der globalen Finanzmittel die Weltwirtschaftsleistung um das 3,5-fache übersteigt. Eine Zahl, die sicherlich noch weitaus größer wird, wenn man die Kapitalien der enormen Finanzströme hinzunimmt, die in ihrer großen Mehrheit spekulativer Natur und oft fast unmöglich zu quantifizieren sind, da sie aus korrupten Quellen stammen.
Diese »ungeheure Ausdehnung des Kreditwesens«, wie es Marx verstanden hat, geht Hand in Hand mit der Ausweitung des produktiven globalen Kapitalismus. Die Spekulation darf dabei nicht als eine Anomalie des Marktes verstanden werden oder als ein Ergebnis fehlender Regulierung, als eine Situation, die sich durch die Folgen der vom Neoliberalismus vorangetriebenen Finanzliberalisierung noch verschärft hat. Nein, die Einkommen durch Spekulation sind schlechterdings die andere Seite der Münze und das Komplementär der Produktionseinkommen innerhalb des Kapitalismus. Dieses Ungeheuer mit zwei Köpfen verursacht eine ganze Reihe von strukturellen Ungleichgewichten, die sich ununterbrochen ausdehnen. Darum ist das, was man heutzutage als »Finanzialisierung« der Weltwirtschaft bezeichnet, ursächlich für viele Probleme der internationalen Wirtschaft sowie in den einzelnen Ländern.
Aber das ist nicht alles. Sind die Geschwindigkeiten der produktiven Sphäre und Finanzsphäre so unterschiedlich, dann ist der Unterschied zur Geschwindigkeit der Erholung der Erde - was wir als Austauschrate mit der Natur definieren - umso größer. Eine Rate, die meilenweit entfernt ist vom Wachstum der produktiven Kräfte und völlig weg vom rasenden Expansionsrhythmus der Spekulation.
Darum bleibt es eine der aktuellen Hauptaufgaben diese Barbarei zu stoppen. Vorschläge liegen auf dem Tisch. Ohne hier eine detaillierte Auflistung vorzustellen, möchte ich nur an die mögliche Wirkkraft einer Steuer zur Bremsung der völlig außer Kontrolle geratenen Finanzströme erinnern, bekannt als Tobin-Tax. Wichtig wäre auch der Aufbau eines globalen institutionalisierten Rahmens, der die Frage der Auslandsverschuldung angeht und die Spekulation in vernünftige Bahnen lenkt und verhindert, dass sie die Ärmsten der Armen und die Natur weiter erschlägt. Ein Ende aller Steuerparadiese wäre vor dem Hintergrund, dass eine große Menge der Gelder von zweifelhafter Herkunft und so gut wie immer mit Spekulation verbunden sind, eine andere unverzichtbare Maßnahme.
Das alles hört sich einfach an, ist aber sehr vielschichtig. Die Trennung von Produktion und Finanzspekulation muss aufgehoben werden. Gleichzeitig sollte das Wiedertreffen zwischen Mensch und Natur befördert werden. Und schließlich gilt es, die Vernunft, die vom zerstörerischen, nicht hinnehmbaren Entwurf, der der Reproduktion des Kapitals und nicht etwa der Reproduktion des Lebens den Vorzug gibt, gebrochen wurde, wieder herzustellen.
Übersetzung: Benjamin Beutler
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.