Mehr Halt und etwas mehr Rot

Die künftigen Fahrgäste durften bei der Gestaltung neuer S-Bahnen mitentscheiden

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Farbgebung, die neuen Piepstöne an den Türen, vermeintliche Stolperfallen. 401 Tester hatten einiges auszusetzen an dem Modell in Originalgröße des neuen S-Bahntyps der Baureihe 483/484, das im Oktober im Betriebswerk Schöneweide vorgestellt worden war. »Wir haben jetzt über 1000 Hinweise ausgewertet«, sagt Annekatrin Westphal, Leiterin des Fahrgastmarketings bei der S-Bahn Berlin. Sie freut sich besonders, dass die Teilnehmer sich so »engagiert und konstruktiv« an der Befragung beteiligt hätten. Immerhin 26 Prozent der Hinweise waren lobender, 30 Prozent kritischer Natur und 44 Prozent waren Verbesserungsvorschläge. Neben einem möglichst repräsentativen Querschnitt von Fahrgästen hatten auch Vertreter von Fahrgast- oder Behindertenverbänden ein Wörtchen mitzureden.

Vor rund einem Jahr hatte die S-Bahn nach jahrelangem Gezerre den Zuschlag für den Betrieb der Ringbahnlinien S 41 und S 42 sowie der südöstlichen Zulaufstrecken S 46, S 47 und S 8 mit neuen Wagen erhalten. 85 vierteilige und 21 zweiteilige Züge sollen schrittweise ab Januar 2021 den Betrieb auf den Linien übernehmen.

In den Medien kritisiert wurde die neue Lackierung mit mehr Gelb und weniger Rot. »Auch die Fahrzeugfront wird jetzt unten Rot«, nennt Westphal eine der Entscheidungen nach der Kundenbefragung. Insgesamt hätten die Tester sich jedoch mehr für die praktischen Aspekte interessiert, berichtet sie.

Kritisiert wurden die neuen Piepstöne. Diese geben die Türen beim Öffnen und Schließen von sich. Dazu kommt noch ein sogenannter Türauffindeton für Blinde. »Wir sind da im Gespräch mit dem Hersteller«, berichtet sie. Statt eines Piepsens könnte der Auffindeton auch durch ein Klackern wie bei Ampeln ersetzt werden. »Aber wesentlich leiser«, verspricht sie. Die Lautstärke des Piepsens beim Öffnen und Schließen der Türen soll sich automatisch an die Umgebungsgeräusche anpassen. Ob das mit angenehmeren Tönen technisch möglich sei, müsse noch geklärt werden.

Gesetzt sind mehr Festhaltemöglichkeiten auch in den Gängen zwischen den Quersitzen mit an der Decke montierten horizontalen Stangen. »Darüber freuen sich besonders unsere Fahrkartenkontrolleure«, sagt Westphal. Denn die stehen immer in den Gängen, während sie sich die Tickets zeigen lassen.

Kritik ernteten auch die an der Decke angebrachten Liniennetzpläne. »Offensichtlich will niemand über Kopf lesen«, sagt Westphal. Man überlege, diese an den Fenstern anzubringen. Ein Konfliktpunkt sind auch die Klappsitze in den Mehrzweckbereichen für Fahrräder, Rollstühle und Kinderwagen. Die sind häufig von gedankenlosen Fahrgästen blockiert, die auch woanders sitzen könnten. »Wir suchen eine Lösung, die Klappsitze temporär zu verschließen, zum Beispiel an Sommerwochenenden, wenn viele Leute mit dem Fahrrad unterwegs sind«, so Westphal. »Das ist aber ein Problem, das eher kommunikativ als konstruktiv zu lösen wäre.« Soll heißen: Einfach Bescheid sagen, dass man den Platz braucht. »Das klappt fast immer.«

Ob alle geplanten Änderungen sich umsetzen lassen, weiß die Marketingleiterin noch nicht. Für Eisenbahnen gelten sehr strenge und detaillierte Vorschriften, die sich auch ihr selbst nicht immer erschlössen. »In drei Monaten ist der Sack zu«, so Westphal. Dann müsse der Bau der ersten neuen Züge beginnen, um den engen Zeitplan einzuhalten. Ab Januar 2021 sollen die ersten Wagen auf der S 47 nach Spindlersfeld fahren. Erst 2023 sollen alle 106 neuen Züge ausgeliefert sein.

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