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Hochschulen und Familie: Kinderwagen statt Karriere
Familie und Beruf bleibt an Berliner Unis nur schwer vereinbar
Wo Anspruch und Realität auseinandergehen: 70 Kitaplätze könne die Hochschule für Technik und Wirtschaft in Karlshorst anbieten, schreibt die Hochschule auf ihrer Webseite. »Eine Studierende mit Kind hat sich gerade deswegen für die HTW entschieden«, berichtet Stefanie Döring von der Landesastenkonferenz, dem landesweiten Zusammenschlusses der Studierendenvertretungen, am Montag vor dem Wissenschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses. Doch als die Studentin ihr Kind bei der Kita anmelden wollte, habe sich herausgestellt, dass die betroffene Kita insgesamt 70 Plätze anbietet – nicht nur für HTW-Angehörige, sondern auch für Familien in dem Einzugsgebiet. Tatsächlich seien gerade mal zwei Kitaplätze für HTW-Angehörige reserviert gewesen, die zudem schon von Kindern von Professoren besetzt gewesen seien.
»Da weiß ich auch nicht, was ich den Studierenden sagen soll, wo da die Familienfreundlichkeit ist«, sagt Döring, die an ihrer Hochschule Studierende mit Kindern berät. Ein Einzelfall ist diese Geschichte nicht: Sie reiht sich ein in ähnliche Berichte von Studierenden und Wissenschaftlern, die ihre Tätigkeit an den Unis kaum mit ihrem Familienleben verbinden können. Auch in den Zahlen spiegelt sich das: So haben gerade mal 6,5 Prozent der an den Hochschulen befristet angestellten Mitarbeiter unter 35 Kinder – in der Privatwirtschaft sind es 20 Prozent. 40 Prozent der Professorinnen bleiben ihr Leben lang kinderlos. Nicht nur unter gleichwertig qualifizierten Frauen in anderen Branchen ist diese Zahl deutlich höher, sondern auch unter männlichen Professoren.
Einzelne Universitäten bemühten sich zwar darum, das Studium mit der Verantwortung für Kinder oder pflegebedürftige Angehörige besser vereinbar zu machen, doch es mangele an landesweiten Standards, sagt Döring. An vielen Hochschulen gebe es für Studierende mit Kind keine Nachteilsausgleiche wie längere Bearbeitungszeiten für Prüfungen. In einem Fall habe ein Professor sogar hochschwangeren Studentinnen untersagt, während einer Prüfung zur Toilette zu gehen.
Oft fänden Lehrveranstaltungen abends statt oder als Blockseminare an den Wochenenden. »Man muss seine Kinder dann fremdbetreuen lassen«, sagt Döring. Sie selbst gebe 400 bis 500 Euro im Semester für einen Babysitter aus. Für Studierende, die auf Bafög angewiesen sind, sei das eine große finanzielle Belastung. »Wenn die wichtigsten Lehrveranstaltungen nur in der Kernzeit von 8 bis 16 Uhr stattfinden würden, wäre das total hilfreich«, sagt sie.
Die Belastung für Eltern geht in der weiteren wissenschaftlichen Laufbahn weiter. »Bisher baut das Wissenschaftssystem auf einer ungleichen Verteilung der Familienverantwortlichkeiten auf«, sagt Nina Lawrenz von der Landeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an den Hochschulen. Besonders während Promotion und Habilitation würde von den Beschäftigten ein Höchstmaß an Flexibilität verlangt. Dabei beginne für viele Menschen in der Lebensphase von 30 bis 40 die Familiengründung. Nach Feierabend noch Fachaufsätze schreiben, am Wochenende ins Labor gehen oder regelmäßig zu Konferenzen im Ausland reisen – für Eltern sei all das kaum umsetzbar.
Oft sind es Männer, die ihre Verantwortung in der Familie zugunsten der beruflichen Karriere vernachlässigen. Am Ende haben sie dann in Berufungsverfahren für Professuren die besseren Karten – einer der Gründe, warum sich der Anteil von Frauen an den Beschäftigten mit jeder Qualifizierungsstufe verringert. Berlin wollte dieser Problematik mit der sogenannten Entfristungsregel im Berliner Hochschulgesetz entgegenwirken. Sie sollte ein Großteil der Postdoktoranden auf Dauerstellen hieven und so die Familienplanung erleichtern.
Doch das Inkrafttreten der Regelung wurde immer wieder verschoben. Zuletzt stellte die Senatswissenchaftsverwaltung in Aussicht, dass die Regelung ganz fallen soll. »Befristete Mitarbeiter wissen nicht, ob sie weiter beschäftigt werden«, sagt Lawrenz. »Wenn man Kinder hat, ist das ein Albtraum.«
Durch Corona habe sich die Situation weiter verschärft, sagt die Organisationsberaterin Elisabeth Mantl. In dieser Zeit wurde allen Hochschulbeschäftigten mit Kind ein pauschaler Erziehungsausgleich gewährt, um die wegfallende Betreuung in Kitas und Schulen zu kompensieren. Doch viele männliche Wissenschaftler nutzten die gewonnene Zeit offenbar nicht, um sich um ihre Kinder zu kümmern, sondern arbeiteten weiter an ihrer Forschung. Das spiegele sich, so Mantl, in den Publikationen, die zu dieser Zeit veröffentlicht wurden. In diesem Fall hätten ironischerweise »familienpolitische Maßnahmen den Gender Gap verschärft«, sagt Mantl.
Bei der Berufung von Professoren müssten deshalb andere Kriterien angesetzt werden. »Wie viel Potenzial hat eine Person?« – Diese Frage müsste im Zentrum von Berufungsverfahren stehen, findet Mantl. »Das wäre ein Kulturwandel.« Bisher werde nur auf die veröffentlichten Publikationen geblickt. Wer sich um eine Familie kümmern müsse, habe da oft das Nachsehen. Daher müssten Nachteilsausgleiche für Eltern gefunden werden. »Ein Kind zählt wie ein Buch«, schlägt Mantl als einen möglichen Ausgleich vor.
Für Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) ist das nicht nur ein individuelles Problem, sondern »ein gesamtgesellschaftlicher Verlust«. »Es gehen uns Talente in der Wissenschaft verloren, wenn Karrieren nicht zustande kommen«, sagt sie. Sie warnt davor, dass die aktuelle Sparpolitik des Senats auch Angebote für Eltern bedrohen könnte. So musste die Alice-Salomon-Hochschule zuletzt ihre Kita wegen finanzieller Probleme schließen. Unterstützung signalisiert Czyborra für das Anliegen, Semester- und Schulferien besser zu koordinieren. »Man müsste da zu einer größeren Veränderung kommen«, sagt Czyborra. Teilweise habe es in den vergangenen Jahren gar keine Überschneidung zwischen Sommerferien und vorlesungsfreier Zeit gegeben.
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