Brandenburg: Bahnschranke hoch für einen Autotunnel

Gemeinde Zeuthen will historische Chance für Verkehrssicherheit nutzen, aber Anwohner rebellieren

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 6 Min.
Beschrankter Bahnübergang in Lübbenau
Beschrankter Bahnübergang in Lübbenau

Sechs beschrankte Bahnübergänge gibt es auf dem Territorium der Stadt Wildau und der Gemeinden Zeuthen und Eichwalde. 24 bis 36 Minuten je Stunde sind sie wegen durchfahrender Züge für den Straßenverkehr geschlossen. Bei fast allen sind die Schranken länger unten als oben. Schulzendorf und Königs Wusterhausen sind mit betroffen, wenngleich die genannten Bahnübergänge nicht auf ihrem Gebiet liegen. Zusammen stolze 83 000 Stunden Lebenszeit jährlich verschwenden Auto- und Radfahrer sowie Fußgänger damit, darauf zu warten, dass sie hier weiterfahren oder -gehen dürfen.

Es ist also keineswegs überraschend, wenn Zeuthens Bürgermeister Philipp Martens (Linke) sagt: »Ich kann mich an keinen Wahlkampf erinnern, in dem ein Tunnel nicht gefordert wurde.« Schon seit Jahrzehnten sei das ein Thema, bislang aber ohne eine greifbare Lösung. Dabei bergen beschrankte Bahnübergänge immer die Gefahr, dass jemand auf den Schienen stecken bleibt oder das Risiko eingeht, noch schnell durchzuschlüpfen – und dann von einem Zug erfasst wird. Es sei ein Glück, dass etwas derart Katastrophales noch nicht geschehen ist, berichtet Martens.

Doch nun gebe es eine historische Chance, Abhilfe zu schaffen. Städte und Gemeinden, der Landkreis Dahme-Spreewald, der brandenburgische Landesbetrieb Straßenwesen sowie die Deutsche Bahn haben sich zusammengesetzt und überlegt, was unternommen werden kann. Die Spreeplan Verkehr GmbH untersuchte die Möglichkeiten. Was dabei herausgekommen ist, hat die GmbH in einer Studie zusammengefasst.

Zwölf infrage kommende Punkte für eine Brücke oder einen Tunnel sind geprüft worden. Neben den sechs vorhandenen Bahnübergängen waren das noch sechs weitere Standorte. Brücke oder Tunnel dort zu bauen, wo bisher kein Bahnübergang ist, hätte den Vorteil, während der Bauzeit alle Bahnübergänge weiterhin benutzen zu können, erläutert Spreeplan-Geschäftsführer Bertram Teschner.

Muckefuck: morgens, ungefiltert, links

nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik – aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin – ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.

Abgewogen worden sei etwa, wohin sich der Straßenverkehr verlagert und ob dadurch die Belastung der Anwohner größer oder kleiner wird. Gefragt hat man sich auch, wie viele Bäume gefällt werden müssen, um die Einfahrten in einen Tunnel beziehungsweise die Auffahrten zu einer Brücke anzulegen. Tunnel sind übrigens teurer als Brücken. Am Hankelweg in Zeuthen würde ein Tunnel voraussichtlich 25 Millionen Euro kosten, eine Brücke nur 13,6 Millionen. An der August-Bebel-Allee wären für einen Tunnel 22,3 Millionen Euro zu investieren, für eine Brücke 11,5 Millionen.

Tunnel verbrauchen aber weniger Fläche. Außerdem müssen Radfahrer und Fußgänger in einem Tunnel geringere Steigungen bewältigen als bei einer Brücke. Die Nutzung ist also deutlich bequemer für sie. Auch wo weniger Anwohner betroffen sind, sei in die Betrachtung eingeflossen, versichert Bertram Teschner.

In die Wertung eingegangen sind zudem die Fahrzeiten für den Rettungsdienst. Gesetzliche Vorschrift ist, dass Rettungswagen bei mindestens 95 Prozent der Notfalleinsätze innerhalb von 15 Minuten vor Ort sein müssen. Bei geschlossenen Schranken ist das nicht mehr zu schaffen, wenn künftig noch mehr Züge auf der wichtigen Strecke von Berlin nach Königs Wusterhausen und weiter nach Lübbenau und Cottbus verkehren. Mit Tunnel oder Brücke wird es besser. Welchen Einfluss dies auf die Rettungswege hat, wo genau eine Querung gebaut wird, wurde simuliert.

Herausgekommen sind bei den Berechnungen Ergebnisse, die sich mit Schulnoten vergleichen lassen. 3,7 war das schlechteste Ergebnis – 2,3 für den Standort Westkorso das zweitbeste. Aber am Westkorso ist alles gerade erst mit Fördermitteln neu gemacht worden. Die Gelder müssten zurückgezahlt werden, wenn hier ein Tunnel entstünde. Außerdem schnitt der Standort Hankelweg mit 1,9 deutlich besser ab.

Die Alternative am Forstweg (2,9) scheidet laut Bürgermeister Martens aus, weil sich eine Schadstoff-Fahne vom ehemaligen Leuchtenwerk bis dorthin ziehe. Diese Altlast wäre ein erhebliches Risiko, dass die Baukosten explodieren. Im Ergebnis der Abwägung sei der Hankelweg die »Vorzugsvariante« der Gemeindeverwaltung, erklärt Martens. Beschließen müssten darüber aber die Gemeindevertreter, und deren Votum wolle er nicht vorwegnehmen. Wichtig sei nur, noch in diesem Jahr eine Entscheidung zu fällen.

Bürgermeister Martens und genauso dem Wildauer Bürgermeister Frank Nerlich (parteilos) ist klar, dass Anwohner des Hankelwegs, die es bislang vergleichsweise ruhig haben, bei sich keine Brücke und keinen Tunnel haben wollen und das Projekt »komplett ablehnen«. Aber man müsse das Gesamtwohl der Bevölkerung im Auge haben, bedauert Nerlich. Für Wildau werde ein Anwachsen der Einwohnerzahl von 11 000 auf 14 000 erwartet. Es würden sich noch mehr Menschen wartend an den Bahnschranken wiederfinden. Es gebe einen »irren Druck«, erläutert Nerlich.

Die Deutsche Bahn (DB) ist für Tunnel oder Brücken zu haben. »Bahnübergänge sind immer ein Gefahrpunkt«, argumentiert Frank Bitter von der Tochterfirma DB InfraGo AG. Außerdem dürfe der Bahnübergang in Eichwalde nur noch bis Dezember 2028 mit einer Halbschranke betrieben werden. Dann laufe die Ausnahmegenehmigung dafür aus. Es wäre die Nachrüstung einer Vollschranke unumgänglich. Mit einer solchen Vollschranke würden sich die Schließzeiten allerdings weiter verlängern. Sie geht nicht so schnell hoch.

Von der Kreisverwaltung heißt es, eine perfekte Lösung hätte sich mit der Note 1,0 ausgedrückt. Aber eine solche Lösung gebe es leider nicht. Alles scheint auf den Hankelweg zuzulaufen.

»Ich kann mich an keinen Wahlkampf erinnern, in dem ein Tunnel nicht gefordert wurde.«

Philipp Martens (Linke) Bürgermeister

Doch es melden sich empörte Anwohner. »Ich bin ja entsetzt«, sagt einer von ihnen. »Der Mierdsdorfer Wald ist uns heilig. Diesen Wald wollen sie zerschneiden. Sie wollen uns unsere grüne Oase wegnehmen.« Ein anderer Anrainer verweist auf Spaziergänger, Jogger und spielende Kinder, die nicht mehr sicher wären. Er denkt auch an den Lärm: »Das wird eine Schnellstraße werden. Egal, ob da Tempo 30 steht – nachts wird durchgeballert.«

Der Nächste sagt, angesichts des Klimawandels müsste man endlich aufhören, Bäume abzuräumen. Mindestens 50 Bäume müssten nach seiner Schätzung allein an der Zufahrtsstraße gefällt werden. Die ließen sich im Stadtgebiet nirgends nachpflanzen, weil dafür der Platz fehle, sondern nur irgendwo anders im Landkreis. Es wäre die seit 35 Jahren größte Naturzerstörung in Zeuthen. »Der Preis könnte zu hoch sein«, mahnt der Mann.

Bürgermeister Martens gesteht: »Es war zu erwarten, dass es diese Diskussion gibt.« Die muss jetzt geführt werden.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -