Lichterfest zum Julbord
Das schwedische Norrköping erstrahlt zur Weihnachtszeit ganz besonders hell. Von Lilo Solcher
Der Buggy-Parkplatz vor dem Haus des Weihnachtsmanns ist voll belegt. 15 Minuten Wartezeit, steht auf der Tafel vor der Schlange, müssten sich die Besucher schon gedulden. Der Weihnachtsmann hat in diesen Tagen Hochkonjunktur. Im Zoo von Kolmarden bei Norrköping hat er sich gemütlich eingerichtet. Gleich nebenan tanzen und spielen zwei Wichtel, und auf dem Weg singen junge Leute in historischen Kostümen klassische Weihnachtslieder. Die Kinder sind hin und weg. Ein paar besonders Mutige lassen sich auf dem Schoß des graubärtigen Mannes mit der roten Zipfelmütze fotografieren, die meisten aber halten vorsichtshalber etwas Abstand. Man kann nie wissen!
Ein paar vorwitzige pubertierende Mädels können’s nicht lassen und nehmen den Weihnachtsmann für ein Selfie in die Mitte. Selbst das erträgt der alte Mann mit der Brille. Auch der Weihnachtsmann geht schließlich mit der Zeit. Da, wo er wohnt, riecht es ein bisschen streng - nach Stall. Der Streichelzoo ist nahe mit putzigen Zicklein, die das Herz der Kinder entzücken. Auch rundum weihnachtet es sehr mit Lichterketten, an denen Sterne leuchten, mit kleinen Buden, in denen rustikal gewandete Frauen und Männer Käse verkaufen, Honig, Selbstgestricktes und Selbstgemachtes.
Auch Bärlein Bamse in der Kinderwelt ist schon weihnachtlich gestimmt. Bestimmt denkt der »freundlichste Bär der Welt« schon darüber nach, was er Familie und Freunden zum Julbord, dem traditionellen schwedischen Weihnachtsessen auftischen kann. Vielleicht kommt auch die Großmutter dazu, die ganz oben im kleinen Häuschen auf dem Felsen wohnt, und womöglich lädt Bamse auch ein paar Flüchtlinge ein, denn für den Bären in der blauen Latzhose sind Fremde nichts anderes als »Freunde, die man noch nicht kennt«. Bestimmt wird er seine Gäste mit einem Gläschen Glögg willkommen heißen, einem Glühwein mit Mandeln und Rosinen. Das gehört sich so in Schweden.
Auch in Schloss Mauritzberg wird die Tradition des Julbord gepflegt. Das elegante Herrenhaus inmitten einer weitläufigen Parkanlage am Meeresarm Bråviken ist heute Hotel und strahlt immer noch diskrete Noblesse aus. Für viele Schweden ist Schloss Mauritzberg ein Muss in der Vorweihnachtszeit. Hier biegen sich die Tische unter all den Herrlichkeiten, die Schweden zu bieten hat: Sill, die eingelegten Heringe mit Senf, Sahne, Curry oder auch in Rotwein mit weihnachtlichen Gewürzen. Gravad Lax, Fischpasteten, Meeresfrüchte und gefüllte Eier. Wurst und Schinken, Pasteten und Sülzen, Salate und Gürkchen. Wer meint, das wäre alles, irrt gewaltig. Denn jetzt kommt erst der Hauptgang, das heißt die warmen Gerichte: Köttbullar, kleine Fleischbällchen in heller Soße, die man inzwischen von Ikea kennt, Schweinerippchen, Kartoffel-Sardellengratin. Nicht zu vergessen den berüchtigten Lutfisk, der in einer Lauge gewässerte Stockfisch, der für Ausländer etwas gewöhnungsbedürftig schmeckt, für die Schweden aber einfach dazugehört. Wer jetzt schon satt ist, versäumt leider das Beste. Denn nach dem Käsebüfett warten süße Leckerbissen wie Schokoladen- oder Mandelkuchen, Eis oder der Reisauflauf Risgrynsgröt auf unersättliche Leckermäuler.
Nicht in jedem schwedischen Zuhause wird am Heiligen Abend derart üppig aufgetischt, aber ein paar besondere Leckerbissen gibt’s auf jeden Fall. Bertil Skärblom, Marketingmanager des kleinen Flughafens von Norrköping, könnte sich nicht vorstellen, darauf zu verzichten. Das Julbord gehört zur schwedischen Weihnacht wie der Christbaum. Auch wenn der, wie Bertil argwöhnt, eigentlich aus Deutschland kommt.
Doch die Schweden haben Gefallen gefunden an den geschmückten Tannenbäumen. Vielleicht auch deshalb, weil sie mit ihren roten Kugeln und dem Lichterschmuck gar nicht mehr trist, sondern ganz heimelig wirken. Für Henning Mankell jedenfalls, den großen Kriminalautor, waren Schwedens Wälder zum Fürchten. »Komisch, dass den Menschen, die dort in der Dunkelheit leben, keine Nadeln wachsen«, schrieb er einmal.
Dunkel wird es in dieser Jahreszeit schon früh in Norrköping. Gegen 15 Uhr geht die Sonne unter. Doch die Stadt mit ihren 134 000 Einwohnern weiß sich zu helfen. Sie hat ein Festival ins Leben gerufen, das noch bis 8. Januar Licht in die dunklen Nächte bringt. Entlang des Motala, der durch die Stadt fließt wie eine silberne Lebensader, lassen sich Installationen von internationalen Künstlern entdecken, die das Licht in den unterschiedlichsten Variationen feiern: Ein Lichterbogen etwa, der sich im Wasser spiegelt, und den der holländische Künstler Rob van Houten als Kreis des Lebens bezeichnet. Der neuseeländische Architekt Angus Muir hat in unterschiedlichen Farben leuchtende Bojen ins Wasser vor dem Konzerthaus gesetzt. Der Brite Stephen Newby schafft im Wasser mittels Spiegeln den Eindruck, in einen endlosen, erleuchteten Tunnel zu blicken und nennt die Installation »Ewigkeit«. Ein Hingucker ist auch das strahlende weiße »Origami-Boot« der Niederländerin Katja Galyuk, das vor der Silhouette der Stadt im Wasser liegt und durch die Spiegelung wie ein Stern wirkt.
So erleuchtet lässt sich die Dunkelheit vor Weihnachten in Norrköping, das im Nordosten Schwedens liegt, gut ertragen, meint Lars Eliassen. Der gut 70-Jährige, dem nur der Wallebart fehlt, um als Weihnachtsmann durchzugehen, kennt nicht nur die funkelnden Kunstwerke, sondern auch den kleinen Weihnachtsmarkt vor dem Stadtmuseum. Während drinnen die Industriegeschichte Norrköpings nacherzählt wird - vor allem die Textilindustrie prägte den Ort noch bis in die 1970iger Jahre -, bieten draußen dick eingemummelte Verkäufer Gestricktes, Gehäkeltes und Gebasteltes an.
Mitten im Fluss steht ein Kamin, der daran erinnert, dass Norrköpings Industrie der Wasserkraft zu verdanken war. Der Motala, hier nur Strömmen genannt, überwindet in der Stadt eine Fallhöhe von 18 Metern, und der jetzt zwischen rot und blau changierende Wasserfall lässt etwas von der ungeheuren Kraft des Wassers ahnen, die Mühlen und Maschinen antrieb. Die oft prächtigen Fabrikbauten wurden inzwischen umgewandelt in Lofts und Läden, Museen und Universitätsgebäude, ja sogar in eine Konzerthalle. Hier kann man im Schein der größten Adventskerzen Schwedens die Zeit verbummeln. Noch sind es ja ein paar Tage bis Weihnachten.
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