König des Pop-Dramas
Er ist einer der wenigen Menschen gewesen, für die immer zwei Sachen gleichzeitig wahr waren. Er hat Songs erschaffen, die wir heute scheußlich nennen, die aber wie kaum etwas anderes die Kraft besitzen, Menschen, egal wie unterschiedlich sie sind, zusammenzubringen, denn die Scheußlichkeit ist das, worauf sie sich einigen können. Jedes Jahr ist das an Weihnachten zu beobachten, denn ohne dieses eine Lied wäre das ganze Fest möglich, aber eben sinnlos, weil es immer einen geben muss, der lustvoll genervt mit den Augen rollt und alle anderen affirmativ einstimmen.
George Michael, der erst sehr griechisch-zypriotisch Georgios Kyriakos Panagiotou hieß und später so britisch wie der britischste Brite, war einer der wenigen Popstars, die das ganze Drama beherrschten und nicht nur die Amy-Winehouse-Aufführung, in der das retardierende Moment quasi von der Katastrophe gefressen wird. Geboren 1963 im Londoner Stadtteil Finchley wollte Michael nie etwas anderes als Popstar werden. Mit seinem Schulfreund Andrew Ridgeley gründete er 1981 die Ausrufezeichenband »Wham!«. Michael schrieb praktisch alle Songs selbst und mit »Wake Me Up Before You Go-Go« landeten sie 1984 ihren ersten Nummer-eins-Hit. Seit dem dazu gehörigen Video gilt George Michael zweifelsfrei als Erfinder der Strähnchen und des T-Shirts mit Aufdruck.
Sechs Jahre später brachte Michael sein erstes Soloalbum »Faith« heraus. Während Ridgeley Surfurlaube machte und ansonsten viel Golf spielte, katapultierte Michael sich damit in andere Popdimensionen. Kurz zuvor hatte er noch »Careless Whisper« als Solosingle aufgenommen, ein Song, dessen Saxofonsolo auch heute noch als ironische Brechung für den billigsten Gag herhalten muss. Weil Streitigkeiten mit seiner Plattenfirma ihm den letzten Nerv raubten, Musikvideos aber damals noch wichtig waren, traten im Video zu »Freedom ’90« nicht er selbst, sondern mal eben die heißesten Supermodels dieser Zeit auf: Cindy Crawford, Christy Turlington, Linda Evangelista und Naomi Campbell. Da war er nun also ganz oben angekommen und stürzte fast genauso tief wieder herab. Nach dem Tod seiner Mutter 1997 litt er an Depressionen, einige Jahre zuvor war bereits sein Freund an Aids gestorben. Die berühmte Toilettenszene, nach der er sich outete, war für ihn wie eine Erlösung, sagte er einmal dem »Spiegel«.
Madonna twitterte: »Lebewohl mein Freund. Wieder ist ein großer Künstler von uns gegangen. Kann sich das Jahr 2016 jetzt nicht verpissen?«
Christin Odoj Foto: Reuters/Stefan Wermuth
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