Die Rechtspartei setzte sich 2016 fest
Die AfD muss nicht erst an die Regierungsmacht kommen - sie bestimmt längst mit, findet Robert D. Meyer
Wer sich ausrechnen will, ob die AfD im Jahr 2016 als etablierte Kraft im deutschen Parteienspektrum angekommen ist, der bemühe den Blick auf ein demoskopisches Detail. Als die Rechten im März bei den Wahlen in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt gleich drei Erfolge erzielten, war die Aufregung unter den Forschern groß, hatten sie das Potenzial der AfD doch völlig unterschätzt. Im Südwesten sah niemand voraus, dass die Rechten aus dem Lager der Grünen 70 000 Stimmen gewinnen würden. Nur aus der SPD wechselten noch mehr Wähler die Seiten. In Sachsen-Anhalt irrten sich die Demoskopen noch deutlicher: Am Ende erhielt die AfD sechs Prozent mehr Stimmenanteil, als ihr in Umfragen prognostiziert wurde.
Entscheidend ist, dass der gleiche Effekt bei den Wahlen ein halbes Jahr später nicht wieder eintrat. Sowohl bei den Voten in Mecklenburg-Vorpommern als auch kurz darauf in Berlin waren die Meinungsforscher deutlich näher am Ergebnis dran, in der Hauptstadt sogar auf den Prozentpunkt genau. Eine Studie der Uni Düsseldorf stellte im Sommer am Beispiel des Urnengangs in Baden-Württemberg fest, dass der Anteil von AfD-Wählern, die bei einer Befragung nicht die Wahrheit sagen, für welche Partei sie letztlich stimmen, besonders hoch gewesen ist. Dieser Effekt der sozialen Erwünschtheit trat bei den Wahlen im Herbst nicht mehr auf. Was war im Verlauf des Sommers 2016 geschehen?
Seine Stimme den Rechtspopulisten zu geben, ist keine Entscheidung mehr, die im verborgenen Kämmerlein getroffen wird. Der AfD haftet kaum noch das Stigma einer Partei an, deren Anhängerschaft nicht öffentlich dazu steht, das Kreuz bei ihr zu setzen. Nicht zuletzt hat dies mit der medialen Öffentlichkeit der Partei zu tun. Allein in den Talkshows von ARD und ZDF war die AfD 2016 laut einer Analyse des Medienportals Meedia 26 Mal zu Gast. Wann wurde einer Partei rechts der Union jemals derartig viel Sendezeit eingeräumt? Die Antwort: nie.
Ausgerechnet im ARD-Talk »Anne Will« brachte es der Grüne Robert Habeck im März auf den Punkt: »Die AfD ist eigentlich eine NPD der Besserverdienenden. Es sind Rassisten im Schafspelz.« Nur wurde den Rechtsradikalen selbst zu Hochzeiten nie der rote Teppich ausgerollt, Maybrit Illner und ihre damalige Kollegin Sabine Christiansen hatten 2004 nach dem Erfolg der NPD in Sachsen sogar verkündet, Politiker, die sich mit ausländerfeindlichen Aussagen lautstark Gehör verschaffen wollen, hätten »in einer politischen Talkshow nichts zu suchen«.
2016 ist von solchen Versprechen nichts mehr übrig. Die Ansage damals galt ja auch der NPD und da ist sich die Gesellschaft einig: Das sind Nazis! Welches Etikett zur AfD passt, darüber wird hingegen noch gestritten, was letztlich auch das große Glück der Rechtspartei ist. Dabei kam die »Mitte«-Studie 2016 zu dem klaren Ergebnis: »Die von Personen mit rechtsextremen Einstellungen eindeutig präferierte Partei ist die AfD.« So wurde mehr als der Hälfte ihrer Anhänger Ausländerfeindlichkeit attestiert. Sie ist die neue Heimat für wesentliche Teile jenes stabil messbaren Fünftels der Gesellschaft, das zwar politisch rechts der CDU tickt, aber sich selbst nie als Rassist oder rechtsradikal bezeichnen würde. Der AfD kamen diese Leuten wie gerufen, haftet der Partei doch ein bürgerliches Image an, weil sie sich - anders als die NPD - gegenüber den Bomberjacke tragenden Stiefelnazis und Kameradschaften, in denen noch immer »Sieg Heil« geschrien wird, distanziert. Was nicht heißt, die AfD setze nicht auf Partner, die in einer völkisch-nationalistischen Tradition stehen. Anstelle der Blutslehre wird nun die Unvereinbarkeit der Kulturen betont und ihre angebliche Unfähigkeit zur Veränderung betont.
2016, das war auch jenes Jahr, in dem die Zusammenarbeit von Teilen der AfD mit rechtsradikalen Gruppen wie den Identitären oder dem rassistischen Pegida-Bündnis immer deutlicher wurde. Parteivize Alexander Gauland oder der einflussreiche Björn Höcke haben jegliche Hemmung abgelegt, sich öffentlich mit Gruppierungen zu zeigen, die die Bundesrepublik mit einer Diktatur verwechseln. Erst in der vergangenen Woche wurde dies bei einer »Mahnwache« der Rechten vor dem Kanzleramt deutlich.
Drinnen bekämpft Merkel die AfD verbal, ließ sich aber 2016 auf eine Asylrechtsverschärfung nach der anderen ein, wie sie die Rechten fordern. Noch so eine Erkenntnis aus diesem Jahr: Die AfD muss nicht erst an die Macht kommen. Sie bestimmt längst mit.
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