Passlose sollen rechtlos werden
Für abgelehnte Asylsuchende ohne Papiere könnte es bald richtig unangenehm werden
In Deutschland leben nach Angaben der Bundesregierung etwa 550 000 abgelehnte Asylsuchende. Als die Zahl im Herbst dieses Jahres bekannt wurde, forderte AfD-Chefin Frauke Petry in einem Interview mit der »Bild am Sonntag«, die abgelehnten Menschen »auf zwei von der UN geschützte Inseln außerhalb Europas« zu deportieren. Der ehemalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) beklagte, die abgelehnten Asylsuchenden würden »dem Staat derart auf der Nase herumtanzen«.
Offenbar kannten beide Politiker die Rechtslage nicht. Denn die meisten der abgelehnten Menschen sind offiziell im Land und verfügen über deutsche Papiere, die ihren Status klären. Rund die Hälfte von ihnen besitzt ein unbefristetes Aufenthaltsrecht, weitere 34 Prozent können bei Polizeikontrollen eine befristete Aufenthaltserlaubnis vorweisen. Wie eine Anfrage der Linksfraktion im September ergab, lebten mehr als 400 000 der abgelehnten Asylsuchenden bereits seit mehr als sechs Jahren im Land, rund 165 000 gar seit den 1990er Jahren. Sprachen anfangs bestimmte Gründe gegen ihre Abschiebung, etwa ein anhaltender Bürgerkrieg, bekamen sie später ein Bleiberecht. Viele sind berufstätig und mehr oder weniger gut integriert.
Schwieriger ist die Situation für jene abgelehnten Asylsuchenden, die wegen einer Erkrankung oder aus familiären Gründen im Land bleiben dürfen. Zu diesen offiziell mit einer Duldung ausgestatteten Menschen zählen auch jene, die keine Papiere haben. Oftmals weigern sich die Regierungen ihrer Herkunftsstaaten, die entsprechenden Dokumente auszustellen. Tunesien oder Marokko zählten bislang ebenso zu den Passverweigerern wie Pakistan oder Nigeria.
Da der mutmaßliche Attentäter Anis Amri, der einen Truck in einen Berliner Weihnachtsmarkt gesteuert haben soll, wegen fehlender Papiere im Sommer dieses Jahres nicht abgeschoben werden konnte, ist die Diskussion um die gescheiterten Asylsuchenden wieder voll entbrannt.
»Das Jahr 2017 muss im Zeichen der Rückführungen stehen«, heißt es etwa in dem CSU-Papier, das auf der traditionellen Neujahrsklausur beschlossen werden soll und aus dem die »Passauer Neue Presse« am Mittwoch zitierte. Die Christsozialen wollen demnach jenen Bundesländern ans Geld, die nach ihrer Auffassung zu wenig abgelehnte Asylsuchende abschieben. »Wenn sich bestimmte Länder weiterhin weigern, geltendes Recht zu vollziehen, ist die Beteiligung des Bundes an den Flüchtlingskosten gegenüber diesen Ländern zu kürzen.« Zudem sollen Flüchtlinge ohne Papiere in Transitzentren festgehalten werden, bis ihre Identität geklärt ist.
Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl wirft der CSU und Teilen der CDU nun vor, »den Berliner Terroranschlag zu instrumentalisieren«, um flüchtlingsfeindliche Ziele erneut in die Debatte einzubringen. Dabei verweist man bei Pro Asyl auf einen Gesetzentwurf aus dem Bundesinnenministerium »zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht«, der das geltende Bleiberecht aushebeln würde. Statt einer Duldung erhielten die Betroffenen nur noch eine »Bescheinigung über die vollziehbare Ausreisepflicht«, die sie praktisch recht- und geldlos machen würde. Erklärtes Ziel der Maßnahme ist die »zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht«. Wahlweise erhofft man sich dadurch auch eine »Anregung zur freiwilligen Ausreise«.
Im Visier hat der Bundesinnenminister die Geduldeten ohne Papiere. Ihnen wird unterstellt, »ihre Abschiebung, z.B. durch Täuschung, selbst zu verhindern«. Die Bleiberechtsregelungen, die etwa für Erkrankte gelten, »dürfen nicht für Ausländer offen stehen, die ihre Abschiebung selbst verhindern«, so der Entwurf, der sich in diesem Punkt selbst widerspricht. Denn wenig später heißt es dort, dass die verschärften Regelungen auch für diejenigen gelten sollen, deren Herkunftsstaat »keinen Passersatz ausstellt, obwohl es sich um einen seiner Staatsangehörigen handelt«. Dass man hier die Betroffenen für die Untätigkeit der heimatlichen Behörden in Haftung nimmt, scheint die Autoren nicht zu stören.
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