Die Offenbarung der Apokalypse
Das Hieronymus-Bosch-Jubiläumsjahr endet, die kleine Schatzkammer in der Gemäldegalerie aber bleibt geöffnet
Hochbeinige Ratten, fliegende Fische, Kröten und Echsen aller Art - auch wenn die mittelalterliche Kunst einiges vorzuweisen hat an schaurigen Gestalten, Droh-, Läster- und Speifiguren, hat wohl kaum ein Maler jener Zeit das europäische Bildgedächtnis mit so ausgesucht hybriden Geschöpfen und grotesken Szenerien gespeist wie der Holländer Hieronymus Bosch, ursprünglich Jheronimus, (ca. 1450-1516).
Seine Tafelbilder, Rentabeln und Grafiken wurden anlässlich des 500. Todesjahres mit einer großen Retrospektive und überbordendem Publikumsinteresse zuerst in ’s-Hertogenbusch, Boschs Lebensort in der niederländischen Provinz Nordbrabant, und anschließend im Madrider Prado, wo der Hauptbesitz seiner Werke beheimatet ist, geehrt. Gewürdigt wurde mit den 20 Malereien und neun Grafiken, die dem Œuvre des Künstlers zweifelsfrei zugeordnet werden können, nicht allein der Schöpfer eines diabolischen Welttheaters und verrätselten Figurengewimmels, sondern auch der Landschaftsmaler, der mit hohen Horizonten und vielfachen Farbstaffelungen die niederrheinischen Flusslandschaft zum Erfahrungsraum seiner Visionen macht.
So auch in dem beidseitig bemalten Tafelbild »Johannes auf Pathmos« (um 1500), das nun in der Berliner Gemäldegalerie zu sehen ist. Die Mitteilung der Apokalypse, die dem Evangelisten Johannes auf der griechischen Insel durch einen Engel zuteilwird - köstlich das geharnischte Teufelsmännchen am unteren Bildrand - ist ein Glanzpunkt der Berliner Ausstellung. Es mag dem heutigen Besucher mitteilen: Die Abgründe scheinen nie weit genug entfernt. Warntafeln könnten von Brüssel bis Paris, von Wien bis Rom hin- und hergereicht werden, nicht um Untergänge herbeizuvisionieren, sondern um sie gar nicht erst zuzulassen. Die Freude aber in Berlin: Es ist ein von Bosch signiertes Hauptwerk, das aus den Depottiefen des staatlichen Museumsbesitzes behutsam restauriert der Öffentlichkeit übergeben wurde.
Aber was bedeutet wirklich der Namenszug? Diese Frage wird im Katalog der Ausstellung »Hieronymus Bosch und seine Bildwelt im 16. und 17. Jahrhundert« am Beispiel des berühmten »Heuwagen«-Gemäldes erörtert. Eine Sammlerin des Hochadels, die Gräfin Mencía de Mendoza, bestellte seinerzeit gern einen Bosch mit Signum, auch wenn das Werk nicht von Meisters Hand ausgeführt worden war. Man akzeptierte die Ideenfindung. Heute zählt man zu den 20 Originalen ca. 300 Kopien, die den Bosch-Mythos ausmachen. Auch das erotische Treiben zwischen Riesenerdbeeren und Stieglitzen im »Garten der Lüste«, das Liebesgedränge in der Berliner Schau wiederum ist eine Kopie nach der berühmten Mitteltafel von Boschs Triptychon aus dem Prado.
Zum Jubiläum haben die Berliner Gemäldegalerie und das Kupferstichkabinett diese Studioausstellung mit eigenen Bosch-Originalen, mit Kopien und Werken, die durch den fabulierenden Niederländer inspiriert waren, gemeinsam arrangiert. Es ist ein charmanter Beitrag. Und eine Begegnungsoption für alle, die keine Reise »hin zu Bosch« antreten konnten - und es ist ein Bonbon aufgrund des Schatzes an originalen Zeichnungen, die das Kupferstichkabinett zum ersten Mal seit 15 Jahren in wechselnder Folge zeigt. Dabei eines seiner Meisterblätter: »Das Feld hat Augen der Wald hat Ohren«.
Eine Federzeichnung in der Art von Musterbüchern mag etwas von der Bosch-Methode erhellen: Ein Kopffüßler, ein feistes Männerhaupt mit scheibenförmiger Kopfbedeckung, schleppt sich auf sonderbaren Krallenarmen übers Blatt. Im Abstand dazu bewegt sich eine Figur - halb Kaulquappe, halb Kröte. Letztere scheint die erste zu kommentieren, bzw. ihr zumindest die Gangart zu leihen. Das Doppelpaar symbolisiert ganz und gar nichts Angenehmes und war für die Zeitgenossen durch die in religiösen Schriften fixierte moralische Symbolik der Tiere gut entschlüsselbar. Boschs Werk zielte, so der Bosch-Forscher Wilhelm Fraenger, dabei eher auf ein elitäres Publikum, das in der Lage war, die komplexen Strukturen seiner Bildtafeln zu erfassen. Die aufgeblähten Narreneier und transparente Fruchtblasen, die Verwandlungen und Symbiosen zu Monstertieren und Tiermenschen, zu fliegenden Fischen stellten nur eine sinnliche Ebene, allerdings mit hohem Schauwert, dar.
Bosch echt oder geboschelt? In Berlin wurde eine 140 Jahre lang nicht gezeigte »Versuchung des hl. Antonius« aufwendig restauriert. Es ist eine Kopie des berühmten Lissabonner Triptychons, eine um 1560/70 entstandene Auftragsarbeit für die protestantische Familie Pillgram in Nürnberg. Der Kampf mit den Dämonen ist das Hauptthema des Antonius-Mythos, hier aber wird mehr als die Monsterbekämpfung durch Meditation ein Gesellschaftsszenario mit Verschleppung und Brandschatzung vorgeführt. Das Grafikkabinett ergänzt das beliebte Motiv, das religiösen und weltlichen Fantasiespielraum gewährt.
Bosch ist ein Zeitgenosse einer konfliktgeschwängerten Etappe der frühbürgerlichen Selbstbehauptung gegenüber Adel und Allmacht der katholischen Kirche, von Armutswanderungsbewegungen und Anwachsen der Stadtbevölkerung. Die Hochzeit der Gotik ist zugleich die Inkubationszeit für die Reformation. Europa befindet sich im Kräfteringen zwischen Habsburgern, Rom und Frankreich. Und bald überall Hölle! Kein Zweifel über das infernalische Potenzial der Mächte bei Hieronymus Bosch. Ein Albtraum auch bei Jan Wellens de Cock, dessen »Höllenlandschaft« mit boschhaftem Kopffüßler in der Bildmitte um 1480-1521 in Antwerpen entstanden ist. Grafisch virtuos wird gefoltert, gelyncht, gefressen, gehängt und herumgekrochen.
Bis 19. Februar, Kulturforum/Gemäldegalerie, Matthäikirchplatz 8, Tiergarten
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