Kulturkampf der Neuen Rechten: Umdeuten, umschreiben, umlügen

Volker Weiß klärt über den Kulturkampf der Neuen Rechten und ihre Strategie der Demokratiezerstörung auf

Hat einen Schatten und ist auf dem rechten Auge blind: Björn Höcke
Hat einen Schatten und ist auf dem rechten Auge blind: Björn Höcke

Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft; wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit», heißt es in George Orwells dystopischem Roman «1984», in dem von einer Diktatur erzählt wird, deren Regime ununterbrochen damit beschäftigt ist, die Erinnerung der Bevölkerung zu manipulieren: Die Menschen sollen vergessen, welche historische Person was genau getan oder gesagt hat, insbesondere wenn sie an etwas gezweifelt oder etwas infrage gestellt hat. Oder besser: Die Menschen sollen sich falsch erinnern, also an eine Vergangenheit, die es so nie gegeben hat, dem Regime aber von Nutzen ist. Sie sollen sich an eine widerspruchsfreie, nachträglich geschönte Vergangenheit erinnern.

Der eingangs zitierte Orwell-Satz ist ein Satz, der auch für unsere politische Gegenwart gilt: Das fortgesetzte Umschreiben, Umdeuten und Umlügen der deutschen NS-Vergangenheit ist ein zentrales Interesse der AfD. Langfristiges Ziel ist es dabei, «alle Arbeitsergebnisse einer Aufarbeitung der (NS-)Vergangenheit abzustoßen», betont Volker Weiß. Die AfD will historisches Wissen zerschlagen, ein neues Geschichtsbild etablieren, in dem der deutsche Herrenmensch ohne Fehl und Tadel ist. Sie arbeitet emsig an der «kontinuierlichen Zerstörung historischer Urteilskraft», warnt der Historiker.

Wer Hitler und Goebbels zu «Linken» umlügt, wie Funktionsträger der AfD es taten, muss die NS-Verbrechen gar nicht mehr relativieren, sondern kann – zuverlässig begleitet vom permanenten Geklapper der konservativen Blätter und der willfährigen, für jeden neuen Twist und jede neue «Debatte» dankbaren Boulevardmedien – am Ende sogar behaupten, «die Linken» seien für den Holocaust verantwortlich, und so auf perfide Art die politische Rechte rehabilitieren.

In einem Kapitel seines neuen Buches «Das Deutsche Demokratische Reich. Wie die extreme Rechte Geschichte und Demokratie zerstört» recherchiert Volker Weiß beispielsweise einem über Jahre hinweg erfolgreich von Rechten verbreiteten Goebbels-Zitat (versehen mit Datum und der Angabe der Zeitung, aus der das angebliche Zitat stammen soll) hinterher. Diesem zufolge soll der NS-Propagandaminister die NSDAP als «die deutsche Linke» bezeichnet haben. Mit der angeblichen Goebbels-Aussage versuchen die AfD und andere extreme Rechte bis heute, politisch Verwirrung zu stiften und Hitlers NSDAP als «linke» Bewegung darzustellen.

Doch das Zitat ist falsch. Volker Weiß, der sich seit vielen Jahren mit Theorie und Praxis der Neuen Rechten befasst und der in Archiven und Bibliotheken nachgeforscht hat, weist akribisch über viele Buchseiten hinweg nach, dass bei dem Zitat weder der Urheber noch der Publikationsort noch das angegebene Datum stimmen: «Weder wurde es vollständig wiedergegeben, noch stammt es von Goebbels, und es ist auch nicht am behaupteten Ort zur behaupteten Zeit erschienen.» Doch diese Art der Irreführung und Demagogie, die sich nicht nur in der Verbreitung falscher Zitate zeigt, ist, wie Weiß schreibt, «beispielhaft für die Methode, mit der die AfD (nicht nur) ihre Geschichtspolitik gestaltet».

In seinem Buch weist Weiß auch nach, dass bereits die Nationalsozialisten mit der Methode arbeiteten, «Begriffe des Gegners mit neuer Bedeutung zu überschreiben» und derart «Umdeutungen und Aneignungen von politischen Kategorien» vorzunehmen. So eigneten sich die Nazis etwa den zur Weimarer Zeit bereits oft und missbräuchlich benutzten Begriff «Sozialismus» an und verkehrten diesen ins komplette Gegenteil. So schrieb Goebbels 1932 im NS-Kampfblatt «Der Angriff»: «Sozialismus bedeutet nicht Gleichmacherei. Er hat weder mit Pazifismus noch mit Internationalität das geringste zu tun (…) Der nationalsozialistische Sozialismus schließt die Klassen zusammen und schmiedet damit das Volk zu einer unlösbaren Blutseinheit aneinander.» Goebbels wollte also unter «Sozialismus» vor allem eine «Kampfgemeinschaft der Rasse und des Staates» (Weiß) verstanden wissen, in welcher es keinen Klassenkonflikt mehr gibt.

Die AfD will historisches Wissen zerschlagen, ein neues Geschichtsbild etablieren, in dem der deutsche Herrenmensch ohne Fehl und Tadel ist.

Ähnlich verfuhren die Nazis mit der vormals sozialistischen Rhetorik und Symbolik: Die Rhetorik wurde von ursprünglichen Inhalten gereinigt und völkisch aufgeladen. Das Wort «Revolution» bedeutete plötzlich nicht mehr, was es eigentlich bedeutet, sondern war plötzlich zu einem Begriff mutiert, der die Wiederherstellung der «wahren deutschen Nation» zum Ziel hatte. Es kam zu einer «Austilgung von Klassenbewusstsein durch Rassenbewusstsein», wie Weiß schreibt. Auch «der Begriff vom Volk war eben kein sozialer, er war dezidiert rassebiologisch ausgerichtet» und «implizierte die Ausscheidung des Heterogenen».

Symbole wurden gekapert, ihrer Bedeutung beraubt und zu reinen Reklamezwecken benutzt. Hitler schrieb in «Mein Kampf» (1934): «Wir haben die rote Farbe unserer Plakate nach genauem und gründlichem Überlegen gewählt, um dadurch die linke Seite zu reizen, zur Empörung zu bringen und sie zu verleiten, in unsere Versammlungen zu kommen.» Denn mit den Symbolen sollte der Linken auch deren Wählerschaft gestohlen werden.

Weiß beschreibt präzise, wie es mit solchen Begriffsverschiebungen, -verzerrungen und -neudefinitionen den Nazis gelang, «zentrale Begriffe der Linken, die seit dem 19. Jahrhundert die politische Auseinandersetzung geprägt hatten, ihres einstmals materialistischen Gehalts zu berauben». Und er zeigt auf, wie die AfD heute ihre Art der «Bauernfängerei» mit ähnlichen sprachlichen Tricksereien betreibt.

So wie die geschichtspolitische Agitation der AfD «den Charakter des Nationalsozialismus verschiebt», spielen auch bei der Instrumentalisierung der DDR, wie sie von der AfD aus Gründen der Machterweiterung betrieben wird, die immer wieder angewendeten Verfahren des Umlügens, der Umdeutung und des bewussten Verdrehens geschichtlicher Ereignisse und Tatsachen eine Rolle. Man darf sehr wohl annehmen, dass der explizit antikommunistischen und den Faschismus beschönigenden AfD das politische Erbe und die Geschichte der tatsächlich als sozialistisch-internationalistisch-antifaschistisch aufgetretenen DDR verhasst ist. Und tatsächlich ist dem auch so. Doch ausgerechnet hier werden die Geschichtsverdreher der AfD mit ihren Tricks aktiv: Der «Sozialismus» der DDR und damit alles, was an Fortschrittlichem und linker Ideologie an ihm hing (soziale Emanzipation, Eigentumsverhältnisse, Antifaschismus etc.), wird rückstandslos im Gedächtnisloch entsorgt. Davon, dass die DDR historisch «links» einzuordnen wäre, ist nicht mehr die Rede.

Stattdessen nutzen die Rechtsextremen den in den Jahrzehnten des Realsozialismus erfolgreich von Teilen der DDR-Bevölkerung eingeübten Antiamerikanismus und die teils tief sitzenden Ressentiments gegen eine permissive Gesellschaft für ihre Zwecke. Der spezielle Kleinbürgersozialismus der kulturell und geografisch vom «Westen» abgeschotteten DDR bot ideale Bedingungen, um nun von der AfD geschichtspolitisch ausgebeutet und ausgeschlachtet zu werden: Hier – in der gewissermaßen nachträglich entpolitisierten und von allem «Linken» bereinigten DDR – herrschte «Ordnung», hier wurde die als homogen gedachte (einst «sozialistische», heute «ostdeutsche») Gemeinschaft glorifiziert, und «der Ausländer» war eine kleine Minderheit, mit der man im Alltag kaum in Kontakt kam.

Im Mittelpunkt dieser von der AfD praktizierten «antikommunistischen Verklärung der DDR», wie Weiß diese Geschichtsverzerrung nennt, stehen «nicht soziale, sondern ordnungs- und kulturpolitische Belange». Den ihr verhassten Staatssozialismus interpretiert die extrem rechte Partei heute frech um zur «anheimelnden, identitätsstiftenden Gemeinschaft, in der Recht und Ordnung herrschten». Es ist also dasselbe extrem rechte Milieu, das einst die DDR als politisches System verteufelte und das Heute, um in dieser Region die politische Hegemonie zu behalten, «die antiliberalen Hinterlassenschaften der SED schamlos ausbeutet», analysiert Weiß.

In der Rechten paktiert man heute mit dem nationalistischen Autokraten Putin und definiert die DDR als das deutschere Deutschland, dessen Bürgern «nicht die nationale Identität genommen» worden sei. Während sich in einem nicht unbeträchtlichen Teil der Linken hierzulande leider noch immer «nicht die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass in Putins Russland von der Sowjetunion nur das imperiale und autoritäre Element übriggeblieben ist».

Volker Weiß: Das Deutsche Demokratische Reich. Wie die extreme Rechte Geschichte und Demokratie zerstört. Klett-Cotta, 288 S., geb., 25 €.

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