»Weniger Minijobs sind ein Erfolg«
Zwei Jahre Mindestlohn: DGB zieht positive Bilanz - Ausnahmen sollten abgeschafft und Kontrollen verstärkt werden. Ein Gespräch mit Stefan Körzell
Der gesetzliche Mindestlohn ist zum 1. Januar auf 8,84 Euro angehoben worden. Wie kommt man auf diesen Betrag?
Es gab eine intensive Diskussion in der Mindestlohnkommission, in der Arbeitgeber und Gewerkschaften paritätisch vertreten sind. Orientiert hat man sich an den Tarifabschlüssen der letzten anderthalb Jahre. So haben wir uns darauf geeinigt, dass der Mindestlohn um vier Prozent zu erhöhen ist. Der Vorschlag ging dann an Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, die ihn übernommen und durch Rechtsverordnung in Kraft gesetzt hat.
Wirklich existenzsichernd ist das aber nicht: Selbst wer 40 Jahre Vollzeit dafür arbeitet und in die Rentenkasse einzahlt, ist im Alter auf Grundsicherung, also Sozialhilfe, angewiesen.
Das ist richtig. Der gesetzliche Mindestlohn ist die unterste Haltelinie für uns, mehr nicht. Unser Ziel ist es, Tarifverträge abzuschließen, die deutlich darüber liegen. Aber es gibt nun mal Bereiche, in denen die Arbeitgeber sich Verhandlungen mit uns entziehen und wir derzeit nicht stark genug sind, diese Situation zu ändern. Da brauchen wir eine gesetzliche Haltelinie.
Stefan Körzell ist Mitglied des DGB-Bundesvorstands und einer von drei Arbeitnehmervertretern in der Mindestlohnkommission. Am 10. Januar beantwortet Körzell von 17 bis 19 Uhr Fragen zum Mindestlohn unter: www.dgb.de/mindestlohnchat Jörn Boewe sprach für »nd« mit ihm über die bisherigen Auswirkungen des Mindestlohns.
Hat das Gesetz den Abschluss neuer Tarifverträge erleichtert? Oder ist es eher so, dass Unternehmer sagen: Wozu Tarifverträge - wir haben doch den Mindestlohn?
Es gibt in der Tat beides. Zunächst haben sich Tarifabschlüsse bereits vor der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns nach oben bewegt. In einigen Branchen wurden erstmals Tarifverträge abgeschlossen. Das war ganz klar ein Effekt des Mindestlohngesetzes, noch bevor es in Kraft trat. Zudem haben Unternehmen, die heute überwiegend den gesetzlichen Mindestlohn zahlen, für einige Beschäftigtengruppen die Löhne über dieses Niveau hinaus erhöht und erhöhen sie weiter. Aber es gibt auch Signale seitens mancher Arbeitgeber, die meinen, Tarifverträge seien für sie jetzt kein Thema mehr, weil es eine allgemein gültige und gesellschaftlich akzeptierte Untergrenze gibt. Das ist falsch. Wir wollen Tarifverträge und zwar deutlich oberhalb dieser Linie.
Die Bundesregierung plant nun neue Ausnahmen vom Mindestlohn für Flüchtlinge. Was halten Sie davon?
Wir sind strikt dagegen. Die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse kann man regeln, ohne dafür neue Unterschreitungen des Mindestlohns einzuführen. Als der Mindestlohn vor zwei Jahren eingeführt wurde, sind auf Drängen der Arbeitgeber und gegen unseren Willen diverse Ausnahmen ins Gesetz aufgenommen worden: Für Langzeiterwerbslose, für Zeitungszusteller, für Jugendliche und Praktika.
Wie sind denn die Erfahrungen damit?
Es gibt eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, die zu dem Ergebnis kommt, dass die Ausnahmeregelung für Langzeitarbeitslose kaum genutzt wird. Die Idee war damals: Wenn Arbeitgeber für ein halbes Jahr den Mindestlohn unterschreiten dürfen, würde sie das motivieren, verstärkt Langzeitarbeitslose einzustellen. Das funktioniert nachweislich nicht. Ein Großteil dieser Menschen ist einfach abgehängt vom Arbeitsmarkt. Sie brauchen mehr und bessere Qualifizierungsmöglichkeiten und keine Ausnahmen vom gesetzlichen Mindestlohn.
Hat der gesetzliche Mindestlohn die Ausweitung prekärer Beschäftigung eindämmen können?
Bei den Minijobs verzeichnen wir einen klaren Rückgang. Bis zum ersten Quartal 2016 - das sind die aktuellsten Zahlen, die vorliegen - sind sie um 2,3 Prozent zurückgegangen. In Westdeutschland um 1,9 Prozent und in Ostdeutschland um 4,6 Prozent. Genau das sollte das Gesetz bewirken: Unternehmen dazu bringen, Menschen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse einzustellen. Die Kritik einiger arbeitgebernaher Wissenschaftler, durch den Mindestlohn seien »60 000 neue Jobs« nicht geschaffen worden - nämlich Minijobs - geht völlig ins Leere. Genau diese Zurückdrängung war beabsichtigt und ist ein Erfolg des Gesetzes.
Wie verbreitet sind aus Ihrer Sicht Versuche, den Mindestlohn zu unterlaufen?
Wir gehen davon aus, dass der Mindestlohn überwiegend eingehalten wird. Kolleginnen und Kollegen berichten uns allerdings auch, dass es Unternehmen gibt, die versuchen, zu tricksen - gerade im Bereich der Minijobs. Meist geschieht das durch Überschreiten der dokumentierten Arbeitszeit. Deshalb fordern wir eine massive Ausweitung der Überprüfungen durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit, und damit eine deutliche Personalaufstockung. Wir brauchen eine Ausweitung der Stellen auf bis zu 10 000 Beamtinnen und Beamte. Die jetzige Zahl ist bei dem Umfang der zu Kontrollierenden zu gering.
Wenn sich der Mindestlohn künftig im selben Tempo erhöht, wird die Zehn-Euro-Grenze 2025 geknackt. Das ist langwierig und wäre immer noch Armutslohn. Hat der DGB eine Vorstellung, wie wir zu einem echten Sprung kommen können?
Natürlich geht das nur mit einer gesellschaftlichen Diskussion. Man kann sich darüber streiten, ob der Einstieg mit 8,50 Euro zu gering war. Grundlage für die Mindestlohnanpassungen sind die Tarifentwicklungen. Insofern setzen wir auf gute Tarifabschlüsse. Die Kommission wird im Sommer 2018 einen neuen Vorschlag erarbeiten, wie der Mindestlohn 2019 zu erhöhen ist. Wenn sich die Tariflöhne weiter so bewegen, wie es derzeit aussieht, wird sich das auch beim gesetzlichen Mindestlohn widerspiegeln.
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