Gefahrenverzug
Uwe Kalbe über den Unwillen Tunesiens, Straftäter aufzunehmen
Demonstrierende Tunesier sind gerade kein Anlass freudiger Kommentare. Gefahr ist im Verzug, die Araber wollen ihre Straftäter nicht zurück. Und Deutschland besteht auf Gewährleistung. Was die deutsche und wohl die westliche Öffentlichkeit insgesamt am Arabischen Frühling faszinierte, der vor sechs Jahren in Tunesien seinen Anfang nahm, war der angeblich begrüßenswerte Eindruck, darin bahne sich der natürliche Lebenswille der Menschen Bahn, der ein freiheitlich-demokratischer und damit natürlich ein genuin westlicher Lebenswille sei. Die Realität war eine andere. Das Regimestürzen, vom Westen eifrig betrieben, brachte wenigen mehr Freiheit und vielen mehr Elend. Ausläufer ist der islamistische Terror, unter dem in erster Linie die Länder der Region leiden und erst in zweiter die Länder der westlichen Welt.
Die Ignoranz des Westens hat daran keinen Schaden genommen. Wenn Deutschland nun seinen Umgang mit potenziellen islamistischen Tätern neu ordnet, dann nach kolonial geprägtem Muster. »Wer nicht kooperiert, der wird sanktioniert«, droht Justizminister Maas. Es schwingt die Klage über fehlende Rechtsstaatsnormen auf der Gegenseite mit, vielen ein willkommener Beleg für die Kluft von Kultur und Religion. Dabei zeigen die Tunesier gerade eine frappierende Ähnlichkeit zum hiesigen besorgten Bürger. Sie wollen die »fremden Straftäter« nicht. Die seien erst nach der Ausreise gefährlich geworden, wurden also zur Gefahr nach Verzug. Derart spitzfindig, wird man in Deutschland allerdings bestenfalls als Fremdenfeind entlarvt.
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