Kein Land für Minderheiten
Puja Kaur Matta über die Gefahren der Abschiebung von Hindus und Sikhs nach Afghanistan
Deutschland schiebt ab. Nach Afghanistan. Spätestens seit der ersten Sammelabschiebung im Dezember sollte das bekannt sein. Dass die Bundesregierung eine politische, aber menschenverachtende Entscheidung getroffen hat, auch das sollte bekannt sein. Zu den Abgeschobenen gehören auch afghanische Hindus und Sikhs. Zwei religiöse Minderheiten, die um ihr Leben fürchten und sich in ihrer Heimat gleich drei Bedrohungen ausgesetzt sehen: den willkürlichen, aber gezielten Anschlägen der Taliban auf die Bevölkerung wie im November auf das deutsche Konsulat in Masar-i-Scharif (die Stadt, die als angeblich sichere Region gilt), dem Bombardement der NATO-Lufteinsätze - zuletzt kamen bei einem solchen 30 Zivilisten in Kundus zu Tode - und der Verfolgung durch die Bevölkerung, erst vor zwei Wochen wurde Nirmohan Singh in Kundus von Unbekannten erschossen, weil er sich für seine Sikh-Gemeinde einsetzte.
Es ist nicht der erste Mord dieser Art. Bereits im Oktober wurde Sardar Rawail Singh in Jalalabad erschossen. Auch er war ein bekannter Vertreter, der sich für die Rechte der afghanischen Sikh-Gemeinde einsetzte. Einen Tag später wurde sein Leichnam von Unbekannten demonstrativ vor die Tore des Sikh-Tempels geworfen. Ein klares Signal an die Sikh- und Hindu-Gemeinden: Politische Partizipation ist gleichbedeutend mit dem Tod.
Doch nicht einmal im Tod finden sie ihre Ruhe. Die rituellen Feuerbestattungen, für Sikhs und Hindus eine Tradition, sind in Afghanistan nicht möglich. Nicht ohne massive Polizeipräsenz, die die Trauernden vor der Steinigung der Bevölkerung schützen muss. Ein halbwegs normales Gemeindeleben ist nicht möglich. Sie leben in den Tempelanlagen und verlassen diese kaum. Frauen und Mädchen können sich außerhalb nicht frei bewegen. Zu groß ist die Angst vor Übergriffen, zu real ist die Erfahrung. Gezielt werden Sikh- und Hindu-Frauen attackiert. Entgegen ihrer religiösen Vorstellungen sind sie außerhalb des Tempels zum Tragen der Burka gezwungen. Konsequenz des Lebens im Tempel ist ein Ausschluss von Bildung und sozialer Teilhabe.
Afghanistan, das war einst ein Land, in dessen Hauptstadt Kabul ein Stadtbild ohne Sikhs und Hindus undenkbar war. Als Kaufleute belebten sie die Innenstadt. Bis zur sowjetischen Intervention lebten 220 000 Sikhs und Hindus dort. Heute sind nur noch 1300 verblieben. Sie konnten sich die Flucht einfach nicht leisten.
Die Bundesregierung will nun die abschieben, denen die Flucht erst in den letzten Jahren gelungen ist. Die Bedrohung für Sikhs und Hindus war bereits unter dem Taliban-Regime real, doch seit dem Sturz des Regimes ist die Lage weitaus riskanter geworden. Die Gefährdung geht nun von der Bevölkerung selbst aus.
Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die Minderheiten zu schützen. Eine Regierung, die ihre Minderheiten nicht vor Mord schützen kann, ist kein Rechtsstaat. Für niemanden. Dorthin abzuschieben bedeutet, Menschen sehenden Auges in den Tod zu schicken.
Das kümmert die Bundesregierung wenig. Sie setzt auf eine Signalwirkung ihrer Maßnahmen mit zwei Zielen. Einerseits fährt sie eine Abschreckungspolitik: Weitere Geflüchtete sollen davon abgehalten werden, nach Deutschland einzureisen. Andererseits will die Union beweisen, dass sie hart durchgreifen kann - so wie es die Rechtspopulisten fordern. Dafür geht sie offenbar auch über Leichen.
Aber die deutsch-afghanischen Hindu-Sikh-Vereine wollen das nicht hinnehmen. Die sonst unpolitischen Vereine kamen etwa am vergangenen Samstag aus vielen Städten nach Frankfurt am Main, um gegen die Abschiebungen zu protestieren. Gleichzeitig werden vereinsinterne Strukturen geschaffen, die Abschiebegefährdete auffangen können und Rechtsberatung bieten. Der Verein arbeitet außerdem dafür, dass afghanische Hindus und Sikhs als religiös verfolgte Minderheiten anerkannt werden. Damit soll ein genereller Abschiebestopp für sie erwirkt werden.
Denn die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich im vergangenen Jahr deutlich verschlechtert. In einem solch unsicheren Land gibt es keinen Schutz für Minderheiten. Daher sollte die Bundesregierung nicht Sammelabschiebungen ohne Einzelfallprüfung ermöglichen. Besonders nicht, um sich für die Rechtspopulisten vor den Bundestagwahlen attraktiver zu machen. Hier geht es schließlich um Menschenleben.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.