Initiativen kritisieren Müllers Basta
Stadtpolitische Gruppen fordern Verbleib von Andrej Holm als Baustaatssekretär unter Rot-Rot-Grün
Die Reaktionen auf die angedrohte Entlassung des wegen Stasi-Vorwürfen in der Kritik stehenden Wohnungsstaatssekretärs Andrej Holm (parteilos, für LINKE) durch den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) fielen in der Stadt sehr unterschiedlich aus. Organisationen wie beispielsweise die Initiative Mietenvolksentscheid, »Kotti & Co« oder die Initiative »100 Prozent Tempelhofer Feld« kritisierten die Erklärung Müllers als »autoritäre Entscheidung« sowie »Bankrotterklärung für Rot-Rot-Grün«.
Zahlreiche Solidaritätsbekundungen haben gezeigt, dass nicht nur Mieten- und Stadtteil-Initiativen, sondern auch Wissenschaftler und sogar ehemalige DDR-Oppositionelle Holm als Staatssekretär behalten wollen, hieß es in einer verbreiteten Erklärung der stadtpolitischen Organisationen. Diese gehen davon aus, dass die Gründe für die geforderte Entlassung Holms nicht in dessen Stasi-Vergangenheit liegen, sondern ganz woanders. »Michael Müller will von seinen innerparteilichen Schwierigkeiten ablenken und jetzt Durchsetzungsstärke demonstrieren - auf dem Rücken der Mieter und der Stadt insgesamt«, sagte der Sprecher der Initiative für einen Mietenvolksentscheid, Rouzbeh Taheri, dem »neuen deutschland«. Für die Initiativen verkörpert Holm die Glaubwürdigkeit des verkündeten Politikwechsels. »Wir fragen uns: Wenn der Senat schon in dieser Personalfrage einknickt, was sollen wir in den bevorstehenden harten Auseinandersetzungen mit der Immobilienlobby dann in Sachfragen von dieser Regierung erwarten?«
Nicht nur in der Stadtgesellschaft, auch in der Regierungskoalition selbst sorgte die Erklärung Müllers am Wochenende für heftige Reaktionen. Bei einem Krisentreffen verständigte sich etwa die Spitze der Linkspartei darauf, intern das Gespräch mit SPD und Grünen suchen zu wollen. In einer gemeinsamen Erklärung der Parteispitze wurde zudem Müller dafür kritisiert, dass erneut ein Koalitionspartner den anderen Koalitionspartner über die Öffentlichkeit zu Entscheidungen zwingen will.
Bei den Grünen, bei denen auch viele aus dem Zusammenschluss der Bürgerbewegung »Bündnis 90« aus der Wendezeit mitmachen, wurde Müllers Entlassungsaufforderung zumeist positiv aufgenommen. Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) sagte, sie hoffe, dass sich der Senat nun auf seine Arbeit konzentrieren könne. Die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann, erklärte dagegen über den Kurznachrichtendienst Twitter: »Regierung sollte sich nicht von der Opposition treiben lassen. Gerade darum ist die Holm-Entscheidung falsch. Was ist es morgen?«
Eben jene Oppositionsparteien CDU, AfD und FDP begrüßten die mögliche Entlassung Holms. Die Entscheidung sei längst überfällig gewesen, erklärten CDU-Fraktionschef Florian Graf, sein AfD-Kollege Georg Pazderski und FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja übereinstimmend. Der Vorgang markiere den »Beginn vom Ende von Rot-Rot-Grün in Berlin«, erklärte Graf.
Angesichts des aktuellen Streits um die Stasi-Vergangenheit von Staatssekretär Andrej Holm forderte Bischof Markus Dröge die rot-rot-grüne Koalition am Sonntag zu einer »sachgerechten« Aufarbeitung der Folgen der DDR-Diktatur auf. »Die Frage, ob frühere hauptamtliche Mitarbeiter der Stasi oder führende SED-Kader heute Regierungsverantwortung tragen dürfen, und wenn ja, unter welchen Bedingungen, bedarf innerhalb der neuen Berliner Regierungskoalition der Klärung«, sagte Dröge. Dabei dürfe die Perspektive derjenigen nicht aus dem Blick geraten, die unter der SED-Herrschaft großes Leid erfahren haben, so der Bischof.
In einer persönlichen Erklärung hatte Holm in der vergangenen Woche noch einmal die Opfer des DDR-Repressionsapparates um Verzeihung gebeten. Für diesen Mittwoch wird darüber hinaus eine Entscheidung der Humboldt-Universität zu einem Personalfragebogen erwartet, auf dem Holm seine hauptamtliche Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit im Jahr 2005 verschwiegen haben soll. Sollte Holm tatsächlich als Staatssekretär entlassen werden, hat er im Übrigen keinen Anspruch auf finanzielle Übergangsleistungen, da er Beamter auf Probe sei, wie die Senatskanzlei am Sonntag mitteilte.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.