Unterhaltsreform nur halb geglückt
Bund und Länder einigen sich, doch viele Alleinerziehende werden weiterhin leer ausgehen
Am Ende setzte sich die Bundesfamilienministerin durch: »Ich freue mich, dass wir die Situation von alleinerziehenden Müttern und Vätern und ihren Kinder verbessern«, sagte Manuela Schwesig (SPD) am Dienstag. Nach zähen Verhandlungen hatten sich Bund und Länder auf die von Schwesig erarbeitete Reform des Unterhaltsvorschusses für Alleinerziehende geeinigt. Diesen Vorschuss gibt es, wenn ein Elternteil nicht zahlt oder zahlen kann. Bundesweit beziehen 440 000 Eltern den Unterhaltsvorschuss, 90 Prozent davon sind alleinerziehende Mütter.
In den zähen Verhandlungen zum Unterhalt konnte sich die Ministerin in fast allen Punkten durchsetzen. So soll die derzeitige Höchstbezugsdauer von sechs Jahren aufgehoben werden. Gleichzeitig steigt die Altersgrenze: Lag sie bislang bei 12 Jahren, zahlt die öffentliche Hand künftig bis zum vollendeten 18. Lebensjahr. Je nach Alter der Kinder sollen die Sätze zwischen 152 und 268 Euro monatlich liegen. Pro Jahr rechnet das Ministerium mit Mehrkosten von 350 Millionen Euro.
Die Reform wird zum 1. Juli 2017 in Kraft treten. Ursprünglich sollte die Gesetzesänderung aber bereits am 1. Januar wirksam werden. Das Bundeskabinett hatte die entsprechende Gesetzesvorlage bereits Mitte November gebilligt, nachdem sich Bund und Länder am 14. Oktober auf die Eckpunkte der Reform verständigt hatten. Doch viele Länder und vor allem die Kommunen stellten sich quer, fürchteten sie doch, auf den Mehrkosten sitzen zu bleiben. Der Bund wird deshalb seinen Anteil an der Finanzierung erhöhen: Zahlte er bislang ein Drittel der Kosten, während die Länder zwei Drittel übernahmen, soll das Verhältnis künftig 40:60 sein.
Zudem wird die Leistung erst ab dem 1. Juli gezahlt und nicht, wie von Schwesig und Sozialverbänden gewünscht, rückwirkend zum 1. Januar. »Damit wird der Forderung der Kommunen nach einer Übergangszeit Rechnung getragen«, hieß es am Dienstag aus dem Familienministerium.
Auch in einem weiteren Punkt kam man den Kommunen entgegen. So soll der Unterhaltsvorschuss keinen Vorrang mehr vor SGB-II-Leistungen haben. Was nach einer Petitesse klingt, sorgte bei Ämtern und Betroffenen oft für Ärger. Da der Unterhalt bislang eine vorrangige Leistung war, mussten Alleinerziehende diesen bei der Kommune beantragen, auch wenn sie als Hartz-IV-Bezieher keinen Anspruch darauf hatten. Später rechnete das Jobcenter diese Leistungen als Einkommen an. »In 87 Prozent der Fälle betreiben wir den Aufwand umsonst«, beschwerte sich Vize-Sprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB), Alexander Handschuh, vor kurzem gegenüber dieser Zeitung.
Doch noch herrscht Skepsis bei den Kommunen. Der Deutsche Städtetag sorgte sich am Dienstag um Mehrbelastungen für die Kommunen. Mit Blick auf die Finanzierung lasse sich derzeit nicht beurteilen, ob die neuen Regelungen für die Kommunen zusätzlichen finanziellen Aufwand verursachen, sagte Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, der Nachrichtenagentur dpa. Daher fordere sein Verband,so Dedy, die Auswirkungen nach einem Jahr zu überprüfen.
Der bürokratische Mehraufwand, den die vielen Hartz-IV-Bezieher bedeuten, verweist aber auch das größte Manko der Reform: Sie geht an einem Großteil der betroffenen Kinder vorbei. Jene Antragsteller, bei denen die Kommunen den Aufwand »umsonst« betreiben, wie der DStGB meint, werden auch zukünftig von der Gesetzesänderung nicht profitieren. Es gilt die Faustformel: Wer Hartz-IV-Leistungen bezieht, ohne zu arbeiten, also aufzustocken, dessen Kinder gehen leer aus.
Bei Kindern ab dem Alter von zwölf Jahren soll es einen Anspruch auf den Unterhaltsvorschuss geben, wenn das Kind nicht auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (Hartz IV) angewiesen ist oder der alleinerziehende Elternteil zwar Hartz-IV-Leistungen bekommt, aber ein Einkommen von mindestens 600 Euro brutto hat. Betroffen sind davon den Angaben zufolge 75 000 Kinder. Das Kinderhilfswerk kritisierte diese Regelung und forderte: »Hier sollte es bei den Beratungen im Bundestag noch Änderungen geben.«
Kritik kam am Dienstag auch von der LINKEN. Hartz-IV-Expertin Inge Hannemann räumte zwar ein, dass die Reform für Alleinerziehende ohne Hartz-IV-Bezug und deren Kinder mehr Geld in der Tasche bedeute. Gelichzeitig forderte sie aber, »dass das Kindergeld nur zur Hälfte auf den Unterhaltsvorschuss angerechnet wird«. Zudem müsse es höhere Freibeträge beim Arbeitslosengeld II geben, so Hannemann, die für die LINKE in der Hamburger Bürgerschaft sitzt.
Tatsächlich ist das Verarmungsrisiko für Alleinerziehende enorm hoch. Das belegen aktuellen Zahlen, etwa aus Sachsen-Anhalt, wo 2015 fast die Hälfte aller Alleinerziehenden auf Hartz IV angewiesen war, wie der MDR meldete. Bundesweit liegt der Anteil bei knapp 38 Prozent.
Nach Angaben des Interessenverbandes Unterhalt und Familienrecht (ISUV) gibt es eine weitere Gruppe von Verlierern, nämlich Unterhaltspflichtige, »die nicht genügend verdienen, um den Minderstunterhalt zu zahlen, denen am Monatsende der Mindestlohn oder ein bisschen mehr ausgezahlt wird«. Durch den Unterhaltsvorschuss würden Schulden aufgetürmt, »jede Lohnerhöhung fließt in die Tilgung der über die Jahre aufgelaufenen Unterhaltsschulden. Für Menschen, die wenig verdienen, ist diese Perspektive keine Motivation für Berufstätigkeit«, kritisierte ISUV-Pressesprecher Josef Linsler am Dienstag.
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