Hellas' Arbeitsministerin: IWF muss sich endlich entscheiden
SYRIZA-Politikerin Eftychia Achtsioglou im Gespräch über die Verhandlungen mit den Gläubigern und ihre Initiative, wieder Tarifverhandlungen einzuführen
Haben Sie im siebten Jahr nach Ausbruch der Krise wieder Hoffnung für Ihr Land?
Es gibt wieder Hoffnung. Die Wirtschaft erholt sich. Die Arbeitslosigkeit ist zwar noch sehr hoch, aber ich denke, wir können jetzt damit anfangen, uns über den Zustand der griechischen Wirtschaft Gedanken zu machen, wenn das dritte Kreditprogramm Mitte 2018 ausläuft und das Land endgültig aus der Krise kommt.
Wie lange wird es dann dauern, bis die Arbeitslosigkeit wieder auf Vorkrisenniveau gesunken ist?
Ich will mich auf keine Zahlen festlegen. Das einzige, was ich in Anbetracht unserer Statistiken sagen kann, ist, dass sich die Situation allmählich verbessert. Die Wiedereinführung fundamentaler Arbeitnehmerrechte auf dem griechischen Arbeitsmarkt wird definitiv zum ständigen Kampf gegen die Arbeitslosigkeit beitragen.
Eftychia Achtsioglou ist seit Anfang November vergangenen Jahres Arbeitsministerin in Griechenland. Mit der SYRIZA-Politikerin sprach Simon Poelchau über die Aussichten Griechenlands für die Zeit nach dem Ende des dritten Kreditprogramms und der Rolle des Internationalen Währungsfonds bei den derzeitigen Verhandlungen mit den Gläubigerinstitutionen.
Mit einer Rate von 23 Prozent ist die Arbeitslosigkeit in Griechenland aber noch extrem hoch. Unter den Jugendlichen beträgt sie sogar 46 Prozent. Vor der globalen Finanzkrise im Jahr 2008 lag die Arbeitslosenquote lediglich bei rund acht Prozent.
Das stimmt. Aber seit SYRIZA im Januar 2015 gewählt wurde, ist die Arbeitslosigkeit fast um vier Prozentpunkte zurückgegangen. Und alle Vorhersagen gehen davon aus, dass sie weiter fallen wird.
Was machen Sie im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit?
Wir nützen Strukturfonds, um vor allem die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Aber am wichtigsten ist es, dass die Wirtschaft des Landes begonnen hat, wieder zu wachsen. Seit dem zweiten Quartal 2016 wurde der Kreislauf der Rezession umgekehrt.
Einigen Ihrer Gläubiger reichen die Reformen nicht aus, die Ihre Regierung in Griechenland bisher durchgeführt hat.
Der Internationale Währungsfonds verlangt noch mehr Austerität. Er will, dass die Renten weiter gekürzt und noch mehr Arbeitnehmerrechte abgebaut werden. Dabei sollte der Fonds erst mal wahrnehmen, was in dem Land bereits geschehen ist und wie viele Reformen wir umgesetzt haben. Und außerdem sollte er anerkennen, dass die Arbeitsreformen, die zwischen 2010 und 2014 eingeführt wurden, zu einer Deregulierung der Beschäftigungsverhältnisse führten. Auch muss der IWF einräumen, dass es in Griechenland der Wiedereinführung der Tarifverhandlungen bedarf.
Nicht nur den Internationalen Währungsfonds (IWF) stört, dass Ihre Regierung vor Weihnachten besonders bedürftigen Rentnern eine einmalige Zusatzzahlung zugebilligt hat.
Das Geld dafür stammt aus dem Haushaltsüberschuss, der über dem im Programm 2016 festgesetzten Ziel lag. So lange die vereinbarten Ziele erreicht werden, glaube ich, sollte Athen einigen Handlungsspielraum haben, um Maßnahmen umzusetzen, die es für sozial gerecht und wichtig hält.
Sie glauben also nicht, dass diese Einmalzahlung an die Rentner den Ausgang der derzeitigen Verhandlungen gefährdet?
Nein. Die Einmalzahlung wurde beschlossen und durchgeführt, und dennoch wurde die Aussetzung von einigen Schuldenerleichterungen wieder zurückgenommen. Die Verhandlungen werden vertrauensvoll und mit dem Glauben an eine rasche Einigung fortgesetzt. Allgemein glaubt der IWF zwar, dass Griechenland seinen Rentnern gegenüber noch zu großzügig ist. Doch die Zahlen, die IWF-Chefökonom Maurice Obstfeld und IWF-Europachef Poul Thomsen anführen, sind irreführend.
Die richtigen Zahlen sprechen also für Sie?
Wenn man alle Zahlungen wie Pensionen und andere Sozialtransfers zusammen betrachtet, liegen die für die Zuwendungen für die Rentner in Griechenland bei 70 Prozent des EU-Durchschnitts. Gleichzeitig beläuft sich das Pro-Kopf-Einkommen von Personen über 65 in Griechenland auf rund 9000 Euro, im EU-Schnitt liegt es bei 18.000 und in der Eurozone bei 20.000 Euro.
Ähnliche Zahlen führte jüngst auch EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici an, um Ihrer Regierung im Kampf gegen weitere Kürzungen bei den Renten beiseite zu stehen. Bewegt sich etwas bei den Institutionen?
Innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten und innerhalb der EU-Institutionen gibt es derzeit unterschiedliche Positionen, wie es mit Griechenland weitergehen soll.
Gibt es bei den derzeitigen Verhandlungen Themen, die Ihnen als Arbeitsministerin besonders am Herzen liegen?
Die Wiedereinführung von Tarifverhandlungen in Griechenland ist ein wichtiger Parameter. Dies ist nicht nur ein wichtiger Bestandteil des europäischen Sozialstaatsmodell. Es würde auch helfen, den Arbeitsmarkt wieder zu regulieren und zu stabilisieren.
Griechenlands Arbeitsmarkt ist derzeit nicht stabil?
Griechenland ist derzeit ein Niedriglohnland mit dereguliertem Arbeitsmarkt. Seit 2010 wurden eine Reihe von Arbeitsmarktreformen umgesetzt, die massive Auswirkungen auf das Leben und die Rechte der Angestellten hatten. Der Mindestlohn wurde um 22 Prozent gesenkt, für junge Beschäftigte unter 25 Jahren sogar um 32 Prozent. Gleichzeitig schoss die Arbeitslosigkeit von sieben auf 27 Prozent in die Höhe. Dies führte dazu, dass gerade junge, gut ausgebildete Akademiker das Land in Scharen verließen.
Auch Schwarzarbeit nahm in Griechenland zuletzt zu.
Es gibt derzeit eine ganze Reihe von Problemen, die damit zusammenhängen, dass Arbeitsrecht verletzt wird. Schwarzarbeit ist da ein Aspekt, wie Unternehmen das Recht brechen. Deshalb arbeiten wir derzeit daran, die nötigen Kontrollbehörden wiederaufzubauen, damit solche Verstöße künftig stärker geahndet werden.
Glauben Sie, dass Ihr Wunsch nach Wiedereinführung von Tarifverhandlungen die Gespräche um Schuldenerleichterungen erschweren?
Die Verhandlungen sind hart. Man sollte aber zwischen den Reaktionen des IWF und denen der europäischen Institutionen unterscheiden.
Inwiefern?
Der IWF ist gegen unsere Forderung, weil er behauptet, dass eine Stärkung der Tarifautonomie die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands gefährden würde.
Vermutlich geht der IWF davon aus, dass branchenweite Tarifverträge Lohnkürzungen erschweren würden. Haben Sie denn die EU-Institutionen in dieser Frage auf Ihrer Seite?
Die EU-Institutionen akzeptieren, dass Tarifverhandlungen eine wichtige Säule des europäischen Sozialmodells sind und Griechenland nicht von diesem Grundprinzip ausgeschlossen sein kann.
Könnten Ihnen die anstehenden Wahlen in Deutschland da helfen?
All die Wahlen, die 2017 auf uns zu kommen, schaffen eine Situation, die sehr instabil ist. Deswegen will derzeit jeder eine rasche Einigung über das griechische Programm. Niemand will sich das Problem für später aufheben. Deshalb habe ich gewichtige Gründe zu glauben, dass es bald eine Übereinkunft zu den wichtigsten Themen gibt.
Das wohl wichtigste Thema sind wirkliche Schuldenerleichterungen für Griechenland. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble wehrt sich jedoch dagegen, dass diese vor dem Ende des derzeitigen Programms kommen. Wären für Sie Schuldenerleichterungen erst 2018 vertretbar?
Auf unserer Seite wurden bisher alle Verpflichtungen erfüllt. Wir erwarten, dass dies auch die anderen Parteien machen. Doch wir müssen jetzt wissen, wie es nach dem Ende des Kreditprogramms weitergeht. Nur so kann es klare Signale für die Investoren geben. Wieso sollte ansonsten jemand jetzt in unser Land investieren, und nicht bis 2018 oder 2019 warten?
Und wie sieht es mit dem IWF aus? Zwar verlangt er von Griechenland weitere Maßnahmen, dafür unterstützt er Ihre Forderungen nach Schuldenerleichterungen und weniger Primärüberschuss.
Die griechische Regierung hart klar gesagt, dass sie keinen weiteren harten Maßnahmen für den Arbeitsmarkt zustimmen wird und dass sie im Voraus keine Austeritätsmaßnahmen für die Zeit nach 2018 auf den Weg bringt.
Also soll der IWF lieber draußen bleiben?
Während der ersten Überprüfung des derzeitigen Kreditprogramms haben wir lange Gespräche mit den EU-Institutionen und dem IWF über die Rentenreform geführt. Es gab immer wieder Einwände vom IWF. Wir haben wirklich versucht, zu einem Konsens zu kommen, doch am Ende entschied sich der IWF, nicht am Programm teilzunehmen. Wissen Sie, wie schwierig es für eine Regierung ist, mit einer solchen Situation umzugehen? Deswegen sollte sich der IWF endlich entscheiden, ob und wie er am Programm teilnimmt oder nicht. Auf unserer Seite haben wir deutlich gemacht, was wir machen werden und was nicht.
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