Wer mit 16 nicht Feuer und Flamme ist, merkte ein großer Ostküstenamerikaner einmal an, hat mit 30 nicht mehr das Zeug zum Feuerwehrmann. Komisch oder naheliegend, dass gerade diese Beobachtung beim Lesen des binnen fünf Jahren dritten Romans der britischen Schriftstellerin Zadie Smith in Erinnerung kam?
Das Wunderkind von der Insel ist gerade 31 und hat mit »Von der Schönheit« ein wiederum gefeiertes, erstaunlich routiniertes Buch geschrieben. Und so wie das Attest der Routine Anerkennung und Enttäuschung vereint, ist es hier gemeint: Zadie Smith, Tochter jamaikanischer Mutter und britischen Vaters, die in Cambridge englische Literatur studierte und mit dem nordirischen Poeten Nick Laird verheiratet ist, verbindet literarische Reife in der Darstellung mit kaum weniger überraschender Konventionalität des Stoffes, der Wahl ihrer Vorlage und ihrer Sicht auf große und kleine Welten. man findet eine kluge, differenzierte Menschengestaltung in oft glänzendem, originellen Stil voller Humor. Doch weder in Inhalt noch Form finden nennenswerte Experimente statt, wie man sie von einer so jungen, begabten Künstlerin erwarten würde. Vielleicht ist sie tatsächlich schon jetzt »ein Klassiker von morgen«, wie Daniel Kehlmann begeistert über ihren jüngsten Roman schrieb.
»Von der Schönheit« ist eine Verbeugung vor Edward Morgan Forsters (1879-1970) im spätviktorianischem England angesiedeltem Roman »Wiedersehen in Howards End«, der vor gut zehn Jahren von James Ivory Oscar-trächtig verfilmt wurde. Wie bei Forster geht es auch bei Zadie Smith um zwei Familien. Während die progressiv-romantischen Schlegels in »Howards End« den konservativ-berechnenden Wilcox' gegenüberstanden und beide auf teils tragische Weise durch ihre Klassenschranken getrennt waren, verlaufen die Konfliktlinien zwischen Zadie Smith' Protagonisten-Familien Belsey und Kipps in der elitä-ren Universitätsumgebung bei Boston heute nicht so sehr über Klassen- als über die Unterschiede zu Fragen von Rasse und Nationalität, Integration und Rollenverhalten im Zeitalter der Globalisierung.
Howard Belsey, 57-jähriger Intellektueller, ist der Inbegriff des weltmüden, liberalen Theoretikers, dessen kunsthistorische Dekonstruktion des Mythos Rembrandt weniger erfolgreich vom Fleck kommt als der Zerfall seiner Ehe mit der schwarzen, lebensklugen Kiki. Die drei Kinder verkörpern das volle Programm mittelständischer Sinnsuche - Jerome (20) befindet sich auf dem unglücklichen Trip des sanften Christen, Zora (19) ist menschlich so unsicher wie ideologisch rigoros, Levi, der Jüngste (16) bewegt sich in Rapper-Sprüngen und -Kadenzen durch den zukunftstrüben Alltag und fühlt sich von Gott und der Welt unverstanden.
Den Belseys gegenüber, manchmal überraschend zur Seite und für eine Weile in Affären von Belsey-Sohn Jerome, dann Belsey-Vater Howard mit der bildschönen, aber früh ausflippenden Tochter Victoria miteinander verstrickt - die Kipps'. Vater Sir Montague ist an der Uni Belseys wissenschaftlicher und weltanschaulicher Rivale, als Farbiger aus der Karibik ein Konservativer, für den ein Vater vor allem Oberhaupt, Homosexualität »böse« und jede Maßnahme zur Förderung von Afroamerikanern kein Ausdruck überfälligen Gleichberechtigungsgebots, vielmehr Zeichen herablassender Diskriminierung ist.
Der Roman mit dem pompös-ominösen Titel enthält keine großen Botschaften. Er erzählt von der Mühe des Einzelnen, mit der neuen Unübersichtlichkeit der Gesellschaft und den alten Ungewissheiten des Zusammenlebens fertig zu werden. Die Autorin tut das voller Ernsthaftigkeit, mit feinem Humor und - bezogen auf die meisten ihrer Figuren - in der Gewissheit, die sie selbst einmal so zusammengefasst hat: »Im englischen Komödienroman gibt es keine größere Sünde, als zu behaupten, dass man Recht hat.«
Ähnlich ihrem Debütroman »Zähne zeigen« (2000), wenn auch nicht mehr ganz so stark, ist »Von der Schönheit« vor allem im Anfangsteil überbordend und etwas richtungslos, in ihrer Menschenbeobachtung ungewöhnlich ausgereift und stilistisch sympathisch frisch (»Hinten im Garten befindet sich sogar ein ungeheizter Pool, der allerdings wegen der vielen abgeplatzten Kacheln sehr einem englischen Lächeln ähnelt«). Die gewinnbaren Erkenntnisse halten sich in Grenzen, was wohl damit zusammenhängt, dass Zadie Smith schon in jungen Jahren bemerkenswert konservativ und domestiziert wirkt. Aber vielleicht ist sie ja schon in ihrem vierten Roman («Ich schreibe immer sehr schnell«) auch diesbezüglich wieder für eine Überraschung gut.
Zadie Smith: Von der Schönheit. Aus dem Englischen von Marcus Ingendaay. Kiepenheuer & Witsch. 518 S., geb., 22,90 EUR.