Es gibt genug zum Umverteilen

Ulrich Schneider schreibt in seinem neuen Buch »Kein Wohlstand für Alle!?«, was gegen die Spaltung der Gesellschaft getan werden kann

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit dem Eigentum ist das so eine Sache im Grundgesetz. Auf der einen Seite steht im Artikel 14, erster Absatz: »Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet.« Auf der anderen Seite heißt es gleich anschließend im zweiten Absatz desselben Artikels: »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.«

Vor allem aber gilt hierzulande beim Thema Eigentum eins: Es ist extrem ungleichmäßig verteilt, es konzentriert sich so sehr in den Händen weniger, »dass niemand, der mit offenen Augen durch die Lande geht«, abstreiten könne, »dass Deutschland gerade dabei ist, sich selbst zu zerlegen«, wie der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, in seinem neuen Buch schreibt. »Kein Wohlstand für alle!? Wie sich Deutschland selber zerlegt und was wir dagegen tun können«, heißt es und erscheint am Mittwoch im Westend Verlag.

Um dem Leser die ganze Misere zu demonstrieren, schickt Schneider ihn gleich zu Beginn auf eine kleine Reise durch Berlin: »Wer durch Berlins Mitte flaniert, der geht vorbei an den Schickimicki-Restaurants der ›Reichen und Schönen‹, in denen man gern mal einen Hunderter und mehr für das Abendessen lässt, an prächtigen Einkaufspassagen mit genauso unverschämten Preisen«, schreibt Schneider. Doch steige man in den Bus, brauche man nur wenige Minuten, damit einen die andere Wirklichkeit wieder einhole: »Schulgebäude, die so gar nichts mit den prächtigen Bankgebäuden und Luxushotels zu tun haben, sondern wo die Farbe verwittert und der Putz abblättert; ›Grünanlagen‹, die schon lange kein Grün mehr gesehen haben; Ein-Euro-Shops für die breite Masse und die Schnäppchenjäger.«

Diese Spaltung der Gesellschaft, die man nicht allein in der Hauptstadt, sondern auch in anderen Großstädten wie Hamburg, München oder Stuttgart sieht, ist nicht nur eine gefühlte Spaltung. Schneider kann sie mit vielen Statistiken belegen. So etwa, dass 40 Prozent der Gesellschaft »keinen Cent auf der hohen Kante« oder sogar Schulden haben, während den reichsten zehn Prozent mittlerweile drei Viertel des gesamten Vermögens in Deutschland gehören.

Doch den Erziehungswissenschaftler interessiert der Wohlstand am oberen Endes der Gesellschaft weniger als die Probleme des unteren Endes. Und bei denen gehe es schon lange nicht mehr »nur um ein paar Arme«, die zu wenig haben – sondern um die unteren 40 Prozent der Gesellschaft: »Es geht um unsere Mittelschicht«, wie Schneider schreibt.

Deren Abgleiten in Armut und Not ist kein Zufall. Es ist die Folge einer Politik, in der jahrelang für die Unternehmen, Vermögenden und Reichen die Steuern gesenkt wurden, während im Sozialen und der öffentlichen Struktur gekürzt wurde sowie Arbeitnehmerrechte Stück für Stück abgebaut wurden. Der Tag an dem für Schneider alles anfing: Der 9. November 1989. Nicht nur im Osten Deutschlands, auch im Westen des Landes sollte sich laut Schneider vieles gravierend ändern: »Richtig kalt wurde es.«

Ausgerechnet eine sozialdemokratische Regierung tat sich beim Sozialabbau dann ganz besonders hervor. Gerhard Schröders Bundesregierung senkte rund um die Jahrtausendwende nicht nur massiv die Steuern für Gutverdiener und Vermögende, Rot-Grün baute mit der Agenda 2010 auch die sozialen Sicherungssysteme neoliberal um.

Doch Schneider kann auch eine gute Nachricht verkünden: Man kann die Armut im Land bekämpfen. Eine Reihe von Maßnahmen schlägt er dafür vor, wie die Schaffung eines solidarischen Familienlastenausgleichs, einer armutsfesten Arbeitslosenversicherung, eines transparenten Verfahrens zur Bestimmung der Hartz-IV-Regelsätze oder die Abschaffung von Jobcenter-Sanktionen.

Das alles kostet jedoch Geld. Und hier kommt die zweite gute Nachricht im Buch: »Das Geld dazu haben wir.« Es müsse nur mittels einer gerechten und solidarischen Abgaben- und Steuerpolitik umverteilt werden. Schneiders wohl schlagendstes Argument: »Wir haben uns in all den Jahren das Geld, das wir brauchten, bei den Reichen und Superreichen lieber geliehen, anstatt es ihnen zu nehmen.« Und das habe diese durch die Zinsen, die sie an den Schulden verdienten, nur noch reicher gemacht, anstatt dass sie mit ihrem Eigentum zum Wohle der Allgemeinheit beigetragen hätten.

Ulrich Schneider: Kein Wohlstand für Alle !? Wie sich Deutschland selber zerlegt und was wir dagegen tun können, Westend Verlag, 236 Seiten, 18 Euro

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