»Einbehaltungen« von Zivilisten ausgesetzt

Als Zeichen guten Willens für die Verhandlungen verzichtet die ELN-Guerilla auf Entführungen

  • David Graaff, Medellín
  • Lesedauer: 3 Min.

Sie sind unterwegs. Über 6000 Kämpfer der FARC haben sich in den vergangenen Tagen mit Sack und Pack und Gewehr über der Schulter in die mehr als 20 Übergangszonen begeben. Dort sollen sie den UN-Mitarbeitern ihre Waffen übergeben, ihre Rechtslage im Rahmen des verabschiedeten Amnestiegesetzes klären und dann in das zivile Leben entlassen werden. »Wir sind auf der Hut davor, dass die Umsetzung der Friedensvereinbarungen härter wird als die Jahre der Verhandlungen«, sagte FARC-Sprecher Luciano Marín.

Der kleineren Rebellengruppe des Landes, der ELN (Nationales Befreiungsheer Kolumbiens), stehen die Friedensgespräche erst noch bevor. Schätzungen gehen von rund 1500 Frauen und Männern unter Waffen und rund 5000 Milizionären aus. Nach monatelangen Verzögerungen - die Friedensverhandlungen hatten Vertreter der ELN-Guerilla und der Regierung bereits vor gut einem Jahr unterzeichnet - soll es heute in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito losgehen. Die Hindernisse sind aus dem Weg geräumt. Die westliche Kampffront der ELN, die im armen Pazifikdepartment Chocó den Politiker Odín Sánchez in ihrer Gewalt hatte, übergab diesen an das Internationale Rote Kreuz, die Regierung begnadigte mehrere inhaftierte »Elenos«.

Das monatelange Hin und Her ist ein erster Vorgeschmack auf die Verhandlungen, die komplexer werden könnten als die insgesamt vier Jahre andauernden Gespräche mit den FARC. Hatten diese Monate vor Gesprächsbeginn die umstrittene Praxis der »Einbehaltungen« von Zivilisten - andere nennen es Entführungen - auf Eis gelegt, steht eine solche Order der ELN noch aus. Für die Guerilleros sind diese Taten Teil des Krieges, für die Regierung Verbrechen gegen die Menschlichkeit. »Die ELN hat einen beidseitigen Waffenstillstand vorgeschlagen, den die Regierung bislang nicht akzeptiert hat«, erklärt Carlos Velandia, mittlerweile demobilisierter ELN-Kommandeur, gegenüber »nd«. Deshalb habe die ELN freie Hand.

Analysten weisen darauf hin, dass die ELN konföderaler und weniger hierarchisch organisiert ist als die FARC. Die Einheiten der insgesamt fünf Kriegsfronten - die im Nordosten Kolumbiens an der Grenze zu Venezuela, im Andenraum und an der Pazifikküste operieren - genießen größere politische und militärische Autonomie. Einige radikalere Einheiten, besonders jene in den peripheren Regionen, so Velandia, stünden den Friedensgesprächen kritisch gegenüber und hätten durch Entführungen und Attentate den Druck auf die Führung erhöhen wollen.

Doch auch die Verhandlungen selbst, die im Rotationsprinzip in Ecuador, Venezuela, Brasilien und Kuba stattfinden sollen, könnten sich für die Regierung als kniffliger erweisen, als sie sich das nach erfolgreichem Abschluss der FARC-Gespräche gedacht haben mag. Neben altbekannten Themen wie Opferentschädigung und Übergangsjustiz, Demokratisierung und Demobilisierung will die ELN, die die Vereinbarungen mit den FARC für unzureichend hält, grundlegend über »Transformationen für den Frieden« diskutieren, um Armut, gesellschaftliche Exklusion, Korruption und Umweltzerstörung zu überwinden. Wie das konkret gelingen soll, das sollen allerdings nicht die Verhandlungsdelegationen, sondern alle politischen Kräfte des Landes auf sogenannten »Gesellschaftlichen Tischen für den Frieden« ausloten, die vom landesweiten Zusammenschluss von Basisorganisation »Congreso de los pueblos« initiiert werden.

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