Stillgestanden für Medaillen

Die Sportfördergruppen der Bundeswehr werden zunehmend infrage gestellt, doch Regierung und DOSB wollen nicht an ihnen rütteln

Es sollte einen Hymnen-Knigge für deutsche Spitzensportler geben. Sie haben es nicht leicht, wenn sie plötzlich ganz oben auf dem Podium stehen und nicht wissen, wohin mit den Extremitäten. Als Christoph Harting in Rio Diskusgold gewann und rumalberte, regten sich konservative Politiker auf, er solle mehr Respekt vor Fahne und Hymne zeigen, schließlich werde er von der Bundesrepublik gefördert. Als vor ein paar Tagen Benedikt Doll Biathlonweltmeister wurde und als Bundeswehrangehöriger stramm stand, regten sich Linke auf: Zu viel Militär im Sport - das wolle doch auch keiner sehen.

Am Donnerstag musste Doll nicht überlegen, ob er die Hände fest an die Oberschenkelseite presst. Er war im Einzel von Hochfilzen zum Glück nur auf Platz 19 gelaufen. Trotzdem stellt sich die Frage, was die Bundeswehr in der Spitzensportförderung zu suchen hat, und ob dieses Fördermodell noch sinnvoll ist. Ökonomen, Politiker und Sportler stellen diese Frage zumindest immer häufiger.

50 Millionen Euro gebe das Verteidigungsministerium jährlich für Sportsoldaten aus, rechnete der neue Athletensprecher beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), Fechter Max Hartung, in der »FAZ« vor. Er fände es besser, wenn dieses Geld ohne den Umweg über die Bundeswehr direkt an die Sportler ginge.

Wie kam es eigentlich zu diesem »Umweg«? Vier Jahre vor den Olympischen Sommerspielen in München 1972 hatten bundesdeutsche Politiker Angst, dass ihre Athleten bei den Heimspielen von den »Berufsamateuren« aus dem Osten übertrumpft werden würden. Sie starteten allerlei Programme, um westdeutsche Sportler besser zu fördern: Die Glücksspirale sollte Geld einbringen - davon profitiert bis heute die Stiftung Deutsche Sporthilfe. Laut einer viel beachteten Studie zum Doping in der BRD wurden ab den frühen 70er Jahren an Universitäten auch Verfahren zur Leistungssteigerung erforscht. Vor allem aber ging ein Auftrag an die Bundeswehr, Sportförderstellen einzurichten, angelehnt an das DDR-System der Armeesportklubs (ASK). Die Athletentruppe gibt es bis heute.

Sportsoldat Benedikt Doll, gebürtiger Schwarzwälder, gehört zur Kaserne Oberschönau im Thüringer Wald. »Es ist die einzige reine Sportkaserne, an der also nur Sportsoldaten stationiert sind«, sagt deren Leiter, Oberstabsfeldwebel Roland Saar. Interessanterweise stammt die Kaserne aus jenem DDR-System, denn hier war bis 1990 der ASK Vorwärts Oberhof zuhause. Heute treiben hier gut 75 Bundeswehrsoldaten Sport.

Sportökonom und Ruderolympiasieger Wolfgang Maennig forscht seit Jahren dazu. Er meint, die Bundeswehrförderung sei ineffizient. Seine Berechnung hört sich ziemlich einleuchtend an: »In Rio waren die Sportsoldaten unterdurchschnittlich erfolgreich: Nur 19 von 125 qualifizierten Athleten gewannen eine Medaille, das sind 15 Prozent. Der Rest der Olympiamannschaft war erfolgreicher: Von den 296 Nichtsoldaten konnten 132 Medaillen gewinnen, also 44 Prozent«, so Maennig im Gespräch mit »nd«. Trotzdem gingen an die restlichen Sportler nur 14 Millionen Euro über die Sporthilfe. Bundeswehrmedaillen seien siebenmal so teuer wie die von Sporthilfeathleten. Ganz so eindeutig sind die Zahlen aber doch nicht. Auch manche Sportsoldaten bekommen zusätzlich Unterstützung durch die Sporthilfe. Auf der anderen Seite wurden andere Medaillengewinner gar nicht gefördert, so die komplette Fußballmannschaft der Männer. Maennig räumt auch ein, dass die Soldatenausbeute bei Winterspielen höher ist.

Zudem profitieren die restlichen Athleten von viel mehr Förderung als nur der Sporthilfe: Insgesamt verteilt das Bundesinnenministerium etwa 160 Millionen Euro an die Sportverbände. Die zahlen den Athleten zwar keine Gehälter, kommen aber für Trainer, Physiotherapeuten und Sportgeräte auf.

Ob die 50 Millionen Euro für die Bundeswehr stimmen, ist auch nicht klar. Offiziell sind es laut Verteidigungsministerium nur 35 Millionen, doch Kasernenleiter Saar bestätigt auf Anfrage, dass noch weitere Millionen für Rentenzahlungen an ehemalige Sportler und Berufsfördermaßnahmen dazukommen. Wie viel Geld das genau ist, hat die Bundeswehr noch nie genau beziffert.

Ein weiterer Kritikpunkt an der Armeeförderung ist die Ausbildungssituation der Sportler. In Oberschönau müssen sie nach spätestens acht Jahren vier Lehrgänge absolviert haben, die insgesamt 24 Wochen umfassen und aus den Sportsoldaten Feldwebel machen. Weitere Pflichten bestehen nicht, und nur die allerwenigsten bleiben nach der Karriere Mitglied der Bundeswehr. Eine Offizierslaufbahn bleibt ihnen verwehrt. »Die ist an ein Studium an einer Bundeswehruni gekoppelt, das mit dem Sportleralltag nicht vereinbar ist«, sagt Saar. In Zeiten, in denen DOSB und Politiker von zivilen Universitäten mehr Flexibilität verlangen, um Spitzensportlern die duale Karriere zu ermöglichen, klingt das recht unflexibel.

Bei der Polizei in den Ländern und beim Bund erhielten die Sportler wenigstens eine Berufsausbildung mit der »Aussicht, nach dem Sport übernommen zu werden«, erklärte Athletensprecher Hartung. Doch so ganz scheint auch das nicht zu stimmen. »Wenn ich aufhöre, bin ich vielleicht 30. Da habe ich noch keine Ausbildung gemacht. Ich werde ganz von vorn anfangen«, sagt Biathlonweltmeisterin Laura Dahlmeier. Die ist beim Zoll, und sollte dann eigentlich ausgebildete Zollbeamtin sein. Die Bundeswehr zahlt ihren Ex-Sportlern nach ihrem Dienst immerhin noch einen Teil des alten Solds als Hilfe beim Übergang ins Berufsleben.

DOSB und Bundeswehr wollen trotz der Kritik an den Sportfördergruppen festhalten. »Für uns ist die Bundeswehr unverzichtbar«, sagt DOSB-Vizepräsident Ole Bischof. Und für Verteidigungsminister Thomas de Maizière ist sie gar »ein gutes Sprungbrett für eine duale Karriere«. Dahinter steckt jedoch vor allem die Angst, dass das Geld nicht - wie von Hartung und Maennig gefordert - auf anderem Weg den Spitzensportlern zugute kommen, sondern dem System komplett entzogen wird. Daher ist es kaum überraschend, dass die Bundeswehr bei der Sportförderreform komplett unangetastet blieb.

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