Gestatten, Old Shatterhand!
Besuch im Wohn- und Sterbehaus von Karl May in Radebeul, der vor 175 Jahren geboren wurde. Von Michael Juhran
Eigentlich fällt sie kaum ins Auge, die kleine Villa in einer Radebeuler Seitenstraße unweit des Bahnhofes. Man könnte leicht an ihr vorbeilaufen, würden da nicht große Lettern am Giebel verkünden, dass es sich um die »Villa Shatterhand« handelt. Karl May selbst hatte diese Widmung veranlasst, nachdem er die Villa 1896 erwarb. Endlich hatte er es geschafft, war von einem Habenichts zu einem beliebten Schriftsteller avanciert und konnte in den besten gesellschaftlichen Kreisen verkehren. Millionen verschlangen seine spannenden Abenteuer- und Reisegeschichten. Und das nicht nur in seiner Heimat. In 33 Sprachen erschienen seine Werke und erreichten weltweit eine Gesamtauflage von etwa 200 Millionen Büchern. Kein anderer deutscher Schriftsteller vermochte bislang diesen Rekord zu brechen.
Besucht man die Villa Shatterhand in der Karl-May-Straße 5, die seit 1928 ein Museum beherbergt, so ist erstaunlich, was seine leiblichen und geistigen Erben so alles aus dem Leben und Werk des am 25. Februar 1842 in Ernstthal geborenen Karl Friedrich May zusammengetragen haben. Erstausgaben seiner Bücher, Illustrationen und Fotos, Artefakte aus fernen Ländern, ja selbst ein Winnetou-Kostüm wecken Erinnerungen der Besucher. Besonders stolz ist Anne Barnitzke, die im Haus die Öffentlichkeitsarbeit leitet, auf die berühmten Gewehre der Romanhelden Winnetou und Old Shatterhand: die Silberbüchse, den Bärentöter und den Henrystutzen.
Schritt für Schritt kann man in den Ausstellungsräumen den Lebensweg Karl Mays verfolgen, der von einer Lehrerausbildung über kleinkriminelle Ausrutscher bis zum weltweit berühmten Schriftsteller und Pazifisten führt. Es ist verblüffend, wie es dem jungen May ohne Universitätsstudium und Auslandserfahrungen, lediglich durch die Lektüre von Reiseberichten und Büchern, aber mit einer schier unbegrenzten Fantasie gelang, Abenteuer im Orient oder im Wilden Westen derart realitätsnah zu beschreiben. Hunderte von Büchern in der Bibliothek zeugen von seiner unstillbaren Wissbegierde und die ganze Regale füllenden eigenen Werke vom enormen Fleiß des Schriftstellers.
Sein Arbeitszimmer wird von dem massiven Schreibtisch dominiert, an dem May seinen Romanfiguren Leben einhauchte. Wie zu seinen Lebzeiten ist der Raum mit Bären- und Löwenfellen sowie Waffen geschmückt, so als wäre Karl May gerade mal wieder in der Welt unterwegs, um neue Abenteuer zu bestehen.
»Mitunter wusste Karl May selbst nicht mehr Fantasie und Realität zu unterscheiden«, erklärt Anne Barnitzke bei einer Führung durch das Haus. »Er verkleidete sich als Trapper oder Beduine und behauptete felsenfest, selbst Old Shatterhand oder Kara Ben Nemsi zu sein und all die Abenteuer tatsächlich erlebt zu haben.« Tatsächlich bereiste er erst im Jahr 1899 den Orient und war 1908 erstmals in Amerika, lange nach Veröffentlichung seiner größten Erfolgsromane. 15 Jahre waren seit Veröffentlichung der Winnetou-Trilogie vergangen.
Wie kaum einem anderen Schriftsteller gelang es dem Autodidakten, den Nerv der Zeit zu treffen. Tausende Deutsche wanderten in den 1880er und 1890er Jahren nach Amerika aus, und Buffalo Bill zog mit seiner Wildwest-Show durch deutsche Städte und wurde von unzähligen Zuschauern gefeiert. Die Faszination von der neuen Welt kannte keine Grenzen, weckte Neugier und Abenteuerlust. Wofür Buffalo Bill ein Heer von Cowboys und Indianern, von Pferden und Bisons benötigte, reichten Karl May Feder und Tinte. Während der Amerikaner den Kampf zwischen den »Rassen« thematisierte, schuf Karl May das Bild des edlen Indianers. In einem gleichen sich jedoch der vor 100 Jahren verstorbene Buffalo Bill und der vor 175 Jahren geborene Karl May: Beide verwoben Wahrheit und Legende derart geschickt, dass sie ein großes Publikum begeistern konnten.
So widersprüchlich sich auch sein Leben darstellt, so unstrittig ist die Wirkung der Werke Mays auf die Leser. Mit seinen fesselnden Geschichten weckte er die Neugier auf fremde Länder, Menschen und Kulturen, zog die Jugend magisch in die Buchläden und pries Edelmut und Fairness als hohe menschliche Tugenden. In einer Zeit, in der Deutschland sich zu einer Kolonialmacht entwickelte, setzte er sich für Frieden, Völkerverständigung und die Respektierung der Rechte von Minderheiten ein. Diesem Vermächtnis folgt heute die Museumsstiftung mit einer gesonderten Ausstellung über die von Karl May beschriebenen Völker Nordamerikas und des Orients in der neben dem Museum gelegenen Villa Bärenfett.
Es tut gut, sich in unserer schnelllebigen Zeit wieder einmal in die Fantasiewelt von Karl May zu begeben und seinem eigenen Einfallsreichtum freien Lauf zu lassen. In Radebeul kann man dies nicht nur im Museum tun. Mit einem großen Powwow wurde bereits am 18. Februar sein Geburtstag in der Radebeuler Lößnitzhalle gefeiert, und wie jedes Jahr veranstaltet das Amt für Kultur und Tourismus der Stadt am Wochenende nach Himmelfahrt die Karl-May-Festtage. Dann verwandelt sich der Lößnitzgrund in eine Landschaft mit Westernstädten und orientalischen Basaren. Raufwütige Cowboys rauben die Passagiere des dampfenden Santa-Fe-Expresses aus, und Kind und Kegel schürfen im Bach nach Gold. Abends werden Geschichten erzählt, First Nations aus Nordamerika präsentieren ihre Kultur, man tanzt gemeinsam beim Klang von Country-Musik oder sieht sich Filme über das gegenwärtige Leben der First Nations an. Das alles würde Karl May gefallen und ist ganz sicher ein Ausflugstipp im Jubiläumsjahr, den man sich schon jetzt vormerken kann.
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